Verhaltensauffällige Schüler und Schülerinnen werden seit über 10 Jahren in normalen Klassen integriert. Und bringen die Lehrerschaft häufig an den Rand ihrer Kräfte. War die Abschaffung der Kleinklasse, wo früher Schülerinnen und Schüler mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen unterrichtet wurden, ein Fehler?
Kleinklassen wieder einführen?
In Basel-Stadt liegt die sogenannte «Förderklassen-Initiative» auf dem Tisch. Die Forderung: Es sollen wieder heilpädagogisch geführte Förderklassen eingeführt werden. Dies für Schülerinnen und Schüler, die wegen ihres auffälligen Verhaltens nicht in eine Regelklasse integriert werden können.
«Zu viele Verlierer»
Bemerkenswert ist, woher die Initiative kommt. Von der Freiwilligen Schulsynode Basel-Stadt FSS, also von der Gewerkschaft der Lehrerinnen und Lehrer. 70 Prozent der Lehrpersonen hätten sich in einer Umfrage der FSS für einen Ausbau des separativen Unterrichts ausgesprochen, dass also Schüler und Schülerinnen, die den Unterricht wiederholt stören, in Sonderklassen unterrichtet werden sollen. Das aktuelle «integrative Einheitsmodell» habe sich zu wenig bewährt, so die Initianten. «Es gibt dabei zu viele Verlierer.»
Hohe Belastung für Lehrerschaft
Grund für den Sinneswandel der Lehrpersonen sei die permanent hohe Belastung, die von verhaltensauffälligen Schülerinnen und Schüler ausgeht. Diese wirke sich auf die ganze Klasse aus, vor allem auch auf die betroffene Lehrperson: «Immer mehr Lehrpersonen kommen an ihre Grenzen. Das macht uns Sorgen und wir sind überzeugt, dass wenn man jetzt nicht handelt, dies negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Lehrerinnen und Lehrer hat», sagt Marianne Schwegler, Vizepräsidentin der FSS.
Wiedereinführung von Kleinklassen?
Auch der Verband der Lehrerinnen und Lehrer im Kanton Aargau schlägt Alarm. Das System der inklusiven Schule sei am Anschlag, zeige eine Umfrage in den Schulen. In Bern hat das Parlament letzten November entschieden, dass die Gemeinden wieder vermehrt Kleinklassen eröffnen können, wenn die integrative Schule an ihre Grenzen stösst. Auch in Zürich schwindet der Rückhalt der integrativen Schule. Das zeigt eine Umfrage des Forschungsinstitut GfS Bern im Auftrag der «NZZ». Zwei Drittel der Befragten geben an, dass sie wieder Kleinklassen einführen wollen.
Zeit der Ausgrenzung ist vorüber
Für die Befürworter der integrativen Schule hingegen ist klar: Nein, es gibt kein Zurück. Kein Kind solle ausgegrenzt werden und das Stigma einer Kleinklasse ertragen müssen. Für Kinder mit Beeinträchtigung sei die Integration häufig ein Segen. Wissenschaftliche Befunde decken diese Einschätzung. Kinder mit besonderen Bedürfnissen profitieren meist von integrativer Förderung. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Pädagogische Hochschule Zürich in Kooperation mit der Universität Fribourg. Zudem können integrativ geschulte Erwachsene besser lesen und schreiben als solche, die in Sonderklassen waren. Und sie sind erfolgreicher in der Berufsbildung und finden eher eine Arbeitsstelle.
Auf die Mitschülerinnen und Mitschüler zeigt eine Studie der Universität St. Gallen und der Universität Zürich jedoch eher negative Auswirkungen. Die Effekte seien moderat, würden mit der Menge an Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bedürfnisse in einer Klasse zusammenhängen und seien auf leistungsstärkere Schüler kleiner als auf schwächere. Während die Schüler in Klassen mit weniger Schüler mit besonderen Bedürfnissen leicht bessergestellt wären, würden die Leistungen der separierten Schüler stark fallen.
Seit 2008 sind die Schulen schweizweit verpflichtet, einstige Kleinklassen- und Sonderschüler in die Regelklassen zu integrieren. Die Schulgesetze in allen Kantonen stützen sich dabei auf die UNO-Behindertenrechtskonvention und das Behindertengleichstellungsgesetz.