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Unsichtbar in der Schweiz In den Fesseln der Armut

Rund 7,5 Prozent der Schweizer Bevölkerung lebt in Armut. Tendenz leicht steigend. Ein Armutszeugnis?

Grob gerechnet hat eine von Armut betroffene Einzelperson fünf Franken im Tag unter anderem für Essen, Transport und Hygiene. Bei einer vierköpfigen Familie sind es 20 Franken. In dieser Situation leben gut 600'000 Menschen in der Schweiz.

Vom «normalen» Leben in die Armut

Stefan Müller* lebt alleine und ist seit 2013 arbeitslos. Der ehemalige Bankangestellte sagt heute, er hätte schneller reagieren müssen, als 2008 US-Investmentbank Lehman-Brothers pleite ging. Er habe da schon gespürt, diese Krise würde auch die Schweiz erreichen. Fünf Jahre später wurde seine Ahnung Tatsache: Er bekam die Kündigung. Die Suche nach einer neuen Anstellung blieb erfolglos.

Die Realität ist das Brutalste was es gibt.
Autor: Stefan Müller arbeitslos und ausgesteuert

Für Stefan Müller kam die Kündigung nicht ganz überraschend. Trotzdem sagt er heute, die Realität sei das Brutalste was es gibt. Er stieg ins Tram und dachte sich: «Alle anderen haben einen Job. Warum trifft es ausgerechnet mich?» Bis heute fühlt er sich als Verlierer.

Er lebt von der Sozialhilfe und vom Lohn, den er bei Caritas verdient. Das sind zusammen 2480 Franken Brutto im Monat. Als Bankangestellter verdiente er knapp dreimal mehr. Der grösste Verzicht, sagt er, seien die Ferien und Ausgehen mit Freunden. Dafür fehle das Geld.

* Stefan Müller möchte seinen richtigen Namen nicht nennen und sich auch nicht in Bild und Ton zeigen.

Nach 23 Jahren raus aus der Armut

Rahel, so möchte sich die 42-jährige Ostschweizerin hier nennen, verliess mit 18 das mittelständische Elternhaus. Sie arbeitete da und dort im Gastrogewerbe um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Jung lernte sie ihren Mann kennen, mit dem sie eine Familie gründete. Die Ehe hielt nicht.

Ein grosser Fehler war, dass ich keine Lehre machte.
Autor: Rahel ehemalige Betroffene

Sie hielt sich und ihre beiden Kinder mit verschiedenen Anstellungen über Wasser. Arbeitete da als Reinigungskraft, dort in der Fabrik oder immer wieder auch als Serviceangestellte. 23 Jahre lebten Rahel und ihre beiden Kinder mal mehr von Sozialhilfe, mal weniger aber immer in Armut. Es waren 23 Jahre Stresszustand:

Morgens aufwachen und sich ständig fragen: Was essen meine Kinder heute? Entspannung kenne ich nicht.
Autor: Rahel ehemalige Betroffene

Vor drei Monaten wurde der Mutter eine Stelle in einem Büro angeboten. Sie verdient über 5000 Franken Brutto. An diese «Normalität» müsse sie sich erst noch gewöhnen. Aber schon heute, wenn sie zurückschaut, kann sie sich kaum vorstellen, dass sie diese Zeit mit so wenig Geld überstand. Etwas Gutes gewinnt Rahel dieser Erfahrung ab: Ihre Kinder wüssten sehr gut, wie wichtig ein Lehrabschluss sei, auch wenn es nicht immer lustig ist.

Armut in der Schweiz

In der Schweiz leben 615000 Menschen in Armut. In der Infografik zeigen wir Ihnen, welche Personen davon am stärksten betroffen sind:

Sendebezug: laufendes Programm Radio SRF 1

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