Markus Gasser: Aus dem Themenbereich «Klima» hätte auch «Klimastreik» oder «Gretaeffekt» zum Wort des Jahres werden können. Warum gerade «Klimajugend»?
Marlies Whitehouse: In der Jurydebatte ist schnell klar geworden, dass diese Klimabewegung von der Jugend aus kommt. Wir haben sehr viele Wörter zum Themenbereich «Klima» in der engeren Auswahl gehabt, aber für uns konzentriert sich in «Klimajugend» alles von dieser Klimabewegung.
Das Wort des Jahres sollte ja speziell etwas mit der Deutschschweiz zu tun haben. Ist das beim internationalen Wort «Klimajugend» der Fall?
Ja, es ist ein Wort, das vor allem in der Schweiz gebraucht wird, ein funktionaler Helvetismus. Das haben wir in der Recherche während der Jurysitzung festgestellt.
Alle romanischen Sprachgebiete haben die grüne Welle zu einem der Hauptwörter für das Jahr gewählt, nicht aber die Deutschschweiz. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Die grüne Welle ist als Begriff auch in der Deutschschweiz präsent, und wir haben uns das auch überlegt. Dann sagten aber die Autofahrer in der Jury, «grüne Welle» bedeute ja auch freie Fahrt für das Auto. Und das ging für uns nicht zusammen mit der grünen Welle, die hier gemeint ist.
«Flugscham» gehört in dasselbe Themenfeld wie «Klimajugend». Was ist mit anderen wichtigen Themenfeldern wie «Frauenstreik» oder «Brexit»? Hatten die keine Chance bei Ihnen in der Diskussion?
Bei uns in der deutschsprachigen Jury hatten andere Themen sehr wohl eine Chance. Wir haben zum Beispiel heftig über die SBB debattiert, weil viele Leute sich nerven, dass die Züge immer zu spät sind. Der Frauenstreik war ebenfalls ein Thema, Negativzins, auch E-Trottis haben wir lange diskutiert. Am Schluss hat uns aber das Wort «Flugscham» überzeugt, weil es dieses Gefühl mit der Handlung des Fliegens verbindet. Also einerseits fliegt man, während man sich andererseits schämt. Dieser Widerspruch ist im Wort Flugscham vereint. Deshalb haben wir das auf Platz drei gewählt.
In der Deutschschweiz kam auf Platz zwei für mich überraschend «OK Boomer». Überraschend deshalb, weil der Ausdruck erst seit wenigen Wochen überhaupt einer grösseren Öffentlichkeit bekannt ist, nachdem eine neuseeländische Parlamentsabgeordnete mit «OK Boomer» einen älteren Zwischenrufer zum Schweigen gebracht hat. Es ist also ein Ausdruck der jüngeren Generation gegen die sogenannten Babyboomer, die heute 55- bis 75-Jährigen. «OK Boomer» bedeutet etwa so viel wie «red du nur, Alter, deine Zeit ist abgelaufen». Warum war Ihnen dieser Ausdruck so wichtig, dass er auf Platz zwei kam?
Die Diskussion zwischen den Alten und den Jungen gibt es seit langem. Schon Goethe hat gesagt, die Jungen verstehen nichts, haben keine Ahnung. Und das zieht sich durch bis heute. Mit «OK Boomer» quittieren die Jungen sehr knapp und klar solche Statements von Leuten, die schon mehr Erfahrung haben, und fordern, dass man auf sie hört. Es ist schliesslich die Welt der Jungen, die kommt.
Ist das nicht gegen die Idee «Wort des Jahres», dass man ein Wort wählt, das vielen Menschen noch nicht bekannt ist?
Das Wort ist in den letzten Wochen stark aufgekommen, ein später Senkrechtstarter. Die Debatte, wie die jüngere Generation sich einbringen kann, besteht aber wie gesagt schon lange. Vor zwei Jahren haben wir #metoo gewählt. Damals war das Wort auch ein Senkrechstarter Ende Jahr, hat danach aber eine Riesenwelle ausgelöst. Etwas Ähnliches zeichnet sich auch bei «OK Boomer» ab.
Wenn wir in 20 Jahren zurückschauen auf alle zwölf Wörter des Jahres 2019 in der Schweiz – was bleibt hängen?
Es wird klar, dass 2019 fürs Klima bewegt hat. Wir haben in der Jury darauf geschaut, wie es uns hier in der Schweiz geht, in der Welt, in der wir leben. Das zeigen diese Wörter des Jahres 2019 sehr schön.