Seit drei Jahren verantworten Linguistikprofessor Daniel Perrin von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und sein Forscherteam die «Wort des Jahres»-Wahl in der Schweiz – zunächst nur für die Deutschschweiz und die Romandie, 2018 zusätzlich für das Tessin und in diesem Jahr erstmals auch für den rätoromanischen Sprachraum.
Das Verfahren ist aufwändig
Die ZHAW baut seit Jahren ihr eigenes Textkorpus namens «swiss-AL» auf und aus. Es handelt sich um eine Sammlung von mittlerweile rund drei Millionen digital aufbereiteter Texte, die 1.2 Milliarden verschiedene Wortformen enthalten. Die Texte stammen aus den Massenmedien, von Social Media-Plattformen sowie von Ämtern, Gemeinden und Parteien. Welche Wörter könnten 2019 neu in die Sprache gekommen sein oder wurden auffallend häufiger gebraucht als in den Vorjahren? «Frauenstreik» und «Grünrutsch», «Negativzinsen» und «Flugscham»? Daniel Perrin lässt sich nicht auf Prognosen ein.
Drei «Wörter des Jahres» pro Landessprache
Diejenigen Wörter, die das Textkorpus als häufigste des Jahres ausspuckt, werden Ende November von den Forscherinnen und Forscher der ZHAW mit Fachwissen und gesundem Menschenverstand überprüft und auf eine kleine Liste reduziert. Dazu kommen Vorschläge aus der Öffentlichkeit, unter anderem von Radio SRF 1-Hörerinnen und Hörern.
Am Ende eruiert eine Jury aus einer Auswahl von 40 bis 50 Wörtern drei «Wörter des Jahres». Für jede Landessprache wird eine eigene Jury aus Sprachprofis zusammengerufen.
So tickt die Schweiz
Die je drei Wörter mögen auf den Punkt bringen, wie die Deutschschweiz, die Romandie, das Tessin und die Rätoromania im laufenden Jahr getickt haben. Dabei spiegelt sich in der Sprache tatsächlich so etwas wie eine schweizerische Identität, stellt Daniel Perrin fest. Denn zwischen den Sprachregionen gab es in den letzten Jahren jeweils Parallelen beim «Wort des Jahres», aber nicht zwischen der Deutschschweiz und Deutschland oder zwischen der französischen Schweiz und Frankreich. Gewiss soll man die Bedeutung der «Wörter des Jahres» nicht überschätzen. Wenn aber die Medien darüber berichten, sei es positiv oder kritisch, dann wird das Wort und mit ihm die gemeinte Sache den Menschen bewusster. Insofern, bestätigt Daniel Perrin, kann das «Wort des Jahres» sogar eine Rückwirkung auf die Gesellschaft haben.
«Wort des Jahres» ist wissenschaftlich relevant
Seit man mit immer mehr digitalen Sprachdaten immer genauere Analysen unserer Alltagssprache machen kann, hat sich die Institution «Wort des Jahres» in vielen Ländern stark verändert. Vor 20 bis 30 Jahren war das «Wort des Jahres» Resultat einer Vermutung von Sprachspezialisten. Heute hat es einen wissenschaftlichen Wert bekommen. Die Reihe aller bisherigen «Wörter des Jahres» sei ein Stück Zeitgeschichte, sagt Daniel Perrin. Verdichtet, vereinfacht, aber nachvollziehbar könne man darin die Veränderung der Gesellschaft in ihrem Sprachgebrauch und die Veränderung der Sprache in der Gesellschaft sehen.
Weder «Quintenzirkel« noch «Quittengelee»
Als Wissenschaftler enthält sich Daniel Perrin jeglicher Prognose für das Deutschschweizer «Wort des Jahres 2019». Als Privatperson tippt er auf ein Wort, das die komplexe Wechselwirkung zwischen Globalisierung und Lokalisierung zum Thema hat – also zum Beispiel «Klimastreik».
Konkreter lässt er sich nur entlocken, dass er sehr überrascht wäre, wenn «Quintenzirkel« oder «Quittengelee» zum Deutschschweizer Wort des Jahres würden. Nichts gegen Quittengelee – aber das wäre in der Tat überraschend!