Wer Ärger in sich hineinfrisst, kann krank werden. Davon ist der Fluchforscher Roland Ris überzeugt. Dann doch lieber fluchen, wobei Fluchen und Schimpfen nicht dasselbe sei: Schimpfen ist gegen eine Person gerichtet, ein Fluchwort betrifft eine Situation. Seine Sammlung an Schimpf- und Fluchwörtern sei ein Inventar, das ständig umgewälzt wird, meint Ris. Immer neue Schimpf- und Fluchwörter werden gebildet, andere verschwinden wieder.
Vater der Schimpfwörter
Diese Umwälzung ist kein Zufall, denn Kraftwörter müssen wirken. Sie müssen in einem hochemotionalen Moment der Wut, des Schmerzes oder Hasses für den Dampfkessel der Gefühle ein Ventil sein. Je grösser die Wut, desto heftiger wird die Grenze des Anstands übertreten.
Warum aus «Häilandsakramänt» «Gopfertori» wurde
In unserer religiös dominierten Vergangenheit mussten Gott und alle höheren Mächte für Flüche herhalten: «Häilandsakramänt», «Himmelhergottnomoll» und der All-Time-Klassiker «Gopfertammi». Weil man das Seelenheil trotzdem nicht leichtfertig aufs Spiel setzen mochte und um einigermassen gesellschaftstolerabel zu bleiben, wurden diese expliziten Flüche verhüllt zu «Gopfertori», «Gopfertelli» und «Sapperlot».
In unserem säkularisierten Zeitalter ist die Wirkung der religiös motivierten Flüche etwas verblasst. Wir stützen uns heute mehr auf die tabuisierten Körperbereiche. Dabei ist im Deutschen eine Tendenz von der Fäkalsprache zur Sexualsprache und eine Tendenz zu Anglizismen auszumachen. Was früher «Schissdräck!» war und «läck mer am Arsch!», ist heute «Fuck!» und «figg di!» oder sogar «figg dini Mueter!».
Das letzte Beispiel ist bei uns relativ neu. Den Schweizer bei der Ehre seiner Mutter oder Schwester zu packen, hat keine Tradition. Südländischer Ehrenkodex und amerikanische Filmindustrie helfen aber mit, dass mit «Motherfucker» und «Hueresohn» neue Tabuverletzungen ins Repertoire kommen. Damit wir auch morgen noch wirkungsvoll schimpfen und fluchen können.
Simon Enzler: «Fluchen ist gesünder als heucheln»
Kaum einer versteht es, auf der Bühne so herzhaft zu schimpfen und zu fluchen wie der Appenzeller Kabarettist Simon Enzler. Für ihn ist klar: Wenn etwas wirklich «schön» ist, dann muss man es mindestens als «huerevertaaseret füchelig choge schön» bezeichnen.
Simon Enzler gerettet
Dem Appenzeller gehen die Fluch- und Schimpfwörter aus. Radio SRF 1-Hörerinnen und Hörer helfen Simon Enzler aus der Patsche. In einer Facebook-Aktion sind über 100 Fluch- und Schimpfwörter aus allen Gegenden der Schweiz zusammengekommen.
«Gang ewägg, du Tram!»
Grundsätzlich kann jedes Wort zum Schimpfwort werden. Fluchforscher Roland Ris nennt das «Tram», welches lange Zeit im Raum Bern als Schimpfwort galt für einen Trottel, vielleicht vergleichbar mit dem alten Schimpfwort «Scheese» für eine unangenehme Frau (zu frz. chaise «einfache Pferdekutsche»). Bei den Jugendlichen war in den letzten Jahren «du Holz» beliebt als Beschimpfung oder «du Lauch» für einen bleichen, dünnen Jungen. Ob ein unbescholtenes Wort zum Schimpfwort wird, hängt grösstenteils vom Ton und von der Situation ab.
«Wüste Wörter» auf Radio SRF 1
Mit wüsten Wörtern sind wir alle schon angeeckt. Als Jugendliche, wo wir mit inflationärem «Huere geil» bewusst provoziert haben. Oder unbewusst als Erwachsene, wo wir mit gewissen Dialektwörtern in anderen Landesteilen für Stirnrunzeln sorgen. «Hock häre», ist nicht überall gern gehört und die «Goofen» werden selten neutral als «Kinder» übersetzt.