Wundervolle Wiederentdeckung
Als Maria Herz’ Nachlass 2015 in die Zentralbibliothek Zürich gelangte, kannte niemand mehr ihren Namen. Doch dann vollzog sich das Wunder, das den meisten Namenlosen der Musikgeschichte verwehrt bleibt: Nach und nach begannen sich Musikerinnen und Musiker für Maria Herz zu interessieren und setzten ihre Musik aufs Programm. In Berlin, Köln, Duisburg, Zürich und weiteren Städten sind inzwischen ihre Werke erklungen, in ihrer Geburtsstadt Köln plant man zu ihren Ehren für 2021 ein Symposium samt Orchesterkonzerten und für 2022 ein mehrtägiges Festival.
In Zürich nun, wo Maria Herz’ Enkel lebt, erklingt am 18. Oktober 2020 zu ihrem 70. Todestag (22. Oktober) die Uraufführung ihres letzten Werkes, des Cembalokonzertes op. 15, entstanden 1934 kurz vor der Emigration nach England. Doch wer war diese Frau?
Kinder, Kunst und Komposition
Am 19. August 1878 als Maria Bing in eine jüdische Kölner Textildynastie geboren, wuchs sie in einem musikliebenden Elternhaus auf und erhielt eine professionelle Ausbildung als Pianistin bei Max von Pauer (1866–1945), Professor am Kölner Konservatorium. 1901 heiratete sie den ebenfalls jüdischen Kölner Chemiker Albert Herz, der bereits zuvor nach England gezogen war, und gründete mit ihm in der Nähe von Manchester eine Familie. Zwischen 1902 und 1910 gebar sie vier Kinder, fand aber auch Zeit für die Kunst. So nahm sie Kompositionsunterricht beim englischen Komponisten und Kunstmaler Arthur Edmund Grimshaw (1864–1913) und schuf erste Werke im romantischen Stil. Ab 1908 veranstaltete sie kommentierte Konzerte, in denen sie als Pianistin und Komponistin, aber auch als Referentin eigener musikgeschichtlicher Vorträge in Erscheinung trat.
Im Sommer 1914 reiste die Familie nach Deutschland zu einer Hochzeit, von der sie nicht mehr zurückkehren sollte: Der erste Weltkrieg brach aus. So lebte Maria Herz fortan mit den vier Kindern in Köln, während ihr Ehemann Kriegsdienst leisten musste. 1920 starb dieser an der Spanischen Grippe, worauf die Witwe mit den Kindern bei ihrem Bruder, dem Rechtsanwalt Moritz Bing (1875–1947), ebenfalls verwitwet und zweifacher Vater, in dessen Villa einzog. Zusammen verkehrten sie mit der künstlerischen Elite der Stadt. Zu den engen Freunden zählte der Dirigent Otto Klemperer (1885–1973), 1917–1924 erster Kapellmeister an der Kölner Oper. In dieser Zeit begann Herz wieder zu komponieren, wobei sie nun ihren Stil der Moderne anpasste.
Trickreicher Durchbruch in der Männerdomäne
Erneut nahm sie Kompositionsunterricht, zunächst bei August von Othegraven (1864–1946) und Hermann Hans Wetzler (1870–1943) sowie ab 1927 bei Philipp Jarnach (1892–1982). 1926 erweiterte sie ihren Künstlernamen durch den Vornamen ihres verstorbenen Gatten auf Albert Maria Herz, im Bemühen, im männerdominierten Geschäft besser Fuss zu fassen, was auch gelang. Regelmässig wurden nun ihre neuen Werke gespielt, den Höhepunkt bildete die Uraufführung der Vier kleinen Orchestersätze op. 8 am 15. Oktober 1928 im Kölner Gürzenich unter Hermann Abendroth. Bis 1934 schuf Maria Herz rund 30 Werke – Orchesterwerke und Solokonzerte, Kammermusik und Klavierlieder.
Anfang 1935 floh Herz nach London und hörte auf zu komponieren. Stattdessen begann sie, wie schon in der Jugend Vortragstexte zur Musikgeschichte zu verfassen; rund 40 sind erhalten. Nach dem zweiten Weltkrieg übersiedelte Herz nach New York, wo sie am 22. Oktober 1950 im Alter von 72 Jahren starb. Der Nachlass blieb bei Nachfahren in den USA, bis ihn der in Zürich wohnhafte Enkel Albert Herz 1995 in die Schweiz überführte und 2015 der Zentralbibliothek Zürich schenkte.