Eine Felswand, mächtig wie eine Theaterkulisse. Darunter ein riesiges Loch im Fels, eine Höhle. Kühle Luft weht aus ihrem Eingang, Wasser sprudelt und ergiesst sich im freien Fall in den See. Die Beatus-Höhlen oberhalb des Thunersees bei Interlaken sind ein weitverzweigtes Höhlensystem, das sich tief in den Berg hinein erstreckt. Bis heute sind nicht alle Bereiche erforscht. Auf der Länge von ungefähr einem Kilometer ist die Höhle jedoch erschlossen und auf einem asphaltierten Weg gut begehbar. Hier kann man überall aufrecht stehen, nirgends kommt ein Gefühl der Enge auf.
Die Beatus-Höhlen – ein spiritueller Ort
Die Beatus-Höhlen sind nicht nur ein Naturspektakel, sie sind auch ein spiritueller Ort. An ihrem Eingang befindet sich das Grab des heiligen Beatus, in einer Felsnische gleich dahinter wird das Modell einer Einsiedelei mit Feuerstelle und Betten gezeigt. Die Einrichtung soll den Besucherinnen und Besuchern verdeutlichen, wie der Eremit Beatus hier gelebt hat.
Beatus war der Legende nach der erste Missionar der Schweiz. Er habe einen Drachen aus der Höhle über dem Thunersee vertrieben, sich dort niedergelassen, die Lehre des Christentums verkündet und Kranke geheilt.
Am Eingang zur Höhle am Thunersee entsteht ab dem 11. Jahrhundert ein Wallfahrtsort mit Pilgerherberge. Zudem wird zu Ehren des Heiligen eine Kapelle gebaut. Im 14. und 15. Jahrhundert werden die Beatus-Höhlen zu einem bedeutenden Wallfahrtsort.
Die Höhlen liegen am Jakobsweg
Der Weg zwischen Interlaken und den Beatus- Höhlen wird stetig ausgebaut, zum Teil in die senkrecht ins Wasser abfallenden Felswände geschlagen. Bis heute gehört dieser eindrückliche Weg zum Netz der sogenannten Jakobswege, der Pilgerwege nach Santiago de Compostela in Spanien.
Reformierte mauern die Beatus-Höhlen zu
Im 16. Jahrhundert schliessen sich die Berner der Reformation an. Da Heilige und Wallfahrten den Reformierten suspekt sind, wird der Pilgerweg zur ehemaligen Klause des heiligen Beatus geschlossen, 1534 werden Kapelle und Herberge geschleift und die Höhle des heiligen Beatus wird kurzerhand zugemauert.
Die Beatus-Höhlen werden erst wieder in der Mitte des 18. Jahrhunderts aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt. Der Grund sind die weltlichen Alpenreisen, die in Mode kommen. So besucht zum Beispiel Johann Wolfgang von Goethe im Jahr 1779 die Höhlen.
Konzipiert und begleitet wird der Streifzug von SRF-Religionsexperte Norbert Bischofberger.