Am 1. März 1996 geht in der Hamburger Friedrich-Ebert-Halle die deutsche Vorentscheidung zum Eurovision Song Contest über die Bühne. Die Veranstaltung trägt den Titel «Ein bisschen Glück». Mit der Startnummer 9 treten die Euro-Cats an. Vier energiegeladene halb junge Frauen, die silberne Sandalen tragen und Miniröcke in den Farben europäischer Landesflaggen.
Ihr Song heisst «Surfen Multimedia» und beginnt gleich mit dem Refrain:
Surfen, Surfen, durch die Welt mit Multimedia/Surfen, Surfen, Tag und Nacht auf der Datenautobahn
Nicht weniger brillant sind die darauffolgenden Textzeilen:
Komm heute Nacht ins Internet/Ich warte schon auf dich/Mensch sei ein User, geh Online/In E-Mail triffst du mich
Dann, nach neuerlichem Refrain:
Und fehl'n dir ein paar Megabyte/Du findest sie bei mir/Ob Interface ob Cyberspace/Ich teile gern mit dir
Und schliesslich:
Mit Bits und Bytes, mit Maus und Klick/Da gehen wir auf Tour/Im World Wide Web/Da folgen wir/heut' jeder heissen Spur
Es ist nicht überliefert, ob die singenden Powerfrauen (sie landeten auf dem 6. Platz) tatsächlich wussten, wie das Internet funktioniert. Mitte der Neunzigerjahre war die neue Technologie zwar in aller Munde, doch erst wenige hatten schon eigene Erfahrung damit gemacht.
«Internet may be just a passing fad»
Mit ihrem Enthusiasmus waren die Eurocats in den 90er Jahren jedenfalls nicht alleine: Das Internet galt damals vielen noch als revolutionäres Medium mit schier grenzenlosen Möglichkeiten – ein Mittel, Menschen auf der ganzen Welt miteinander zu verbinden und eine unerschöpfliche Quelle von Information.
Der Begeisterung und Hoffnung stand aber ein weit verbreitetes Misstrauen gegenüber. Immer wieder konnte man hören und lesen, das Internet sei bloss ein Trend, der bald vorübergehe: «Internet may be just a passing fad as millions give up on it», titelte etwa die britische Boulevardzeitung «Daily Mail» noch im Jahr 2000.
Katastrophaler Zusammenbruch
Was heute naiv scheint, war damals nicht ganz aus der Luft gegriffen. Das Internet der 90er-Jahre war mit dem von heute nicht zu vergleichen: Ohne Highspeed-Verbindungen luden Webseiten nur langsam, Suchmaschinen funktionierten mehr schlecht als recht und von mobilen Anwendungen, die heute die Online-Welt dominieren, war man noch lange entfernt.
Selbst Robert Metcalf, der Turing-Award-gekrönte Mit-Erfinder des Ethernets, liess sich im Jahr 1995 zur Aussage hinreissen: «Ich sage voraus, dass das Internet bald spektakulär zur Supernova wird und 1996 katastrophal zusammenbricht.»
Von der Videokonferenz bis zum Smart-Home
Andere blickten in den 90er Jahren weit zutreffender in die Zukunft. Allen voran der amerikanische Telekom-Riese AT&T: 1993 startete er eine Kampagne, die unter dem Namen «You Will» bekannt wurde und in 15 Werbespots verschiedene Zukunftsszenarien zeigte – gesprochen von Tom Selleck und mit David Fincher als Regisseur notabene.
Tatsächlich gehören fast alle der damals gezeigten Technologien heute zu unserem Alltag: Videokonferenzen, Telemedizin, Wi-Fi-Technologie, Tablet-Computer, automatische Spracherkennung, maschinelle Übersetzung, Smartwatches, GPS-Navigation, persönliche Assistenten wie Siri oder Alexa, Video-on-Demand und Smart-Homes.
Bloss bei einem lag AT&T grob daneben: Jeder Sport begann mit den Worten «Haben Sie schon einmal …» und endete mit «… Sie werden. Und das Unternehmen, das es möglich macht: AT&T». Video-on-Demand und Tablet-Computer sind heute eine Selbstverständlichkeit – aber möglich gemacht haben das andere.
Wir sind deine Korrespondenten aus der digitalen Welt. Ist ein Chip drin oder hängt es am Internet? Wir berichten wöchentlich. Smartphones, soziale Netzwerke, Computersicherheit oder Games – wir erklären und ordnen Digitalisierungs-Vorgänge ein, seit 2006
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