«Iron Man» mit Robert Downey Jr. legte 2008 den Startschuss für das heute erfolgreichste Kinofilm-Franchise der Welt. Ein Franchise ist eine Reihe von Filmen, die inhaltlich zusammenhängen.
Beim Erfolg des Marvel-Kino-Universums («Marvel Cinematic Universe») beziehen wir uns nur auf die reinen Box-Office-Zahlen, also Einnahmen an den Kino-Kassen. Denn in Punkto Merchandising kommt niemand an «Star Wars» vorbei.
Seit dem Überraschungserfolg von 2008 hat das Comic-Studio Marvel bislang 17 Filme (!) veröffentlicht. 2018 erscheinen «Back Panther», «Avengers: Infinity War» und «Ant-Man and the Wasp». Und laut Marvel-Mastermind und Filmproduzent Kevin Feige, welcher der Kreativ-Direktor aller Marvel-Filme ist, sollen bis 2026 weitere 20 Filme (!) in Planung sein.
Marvel hat das moderne Kino auf den Kopf gestellt
Marvel hat den Superhelden-Film auf eine neue Stufe gehoben. Eine Firma, welche sogar einen Baum und einen sprechenden Waschbär zu Kult-Figuren macht, kann sich alles erlauben. Und dies tut Marvel gemeinsam mit anderen Studios so inflationär, dass selbst hartgesottene Comic-Film-Fans eine Superhelden-Müdigkeit spüren.
Alleine 2017 erschienen ganze sieben grosse Comic-basierte Filme, fünf davon stehen in den «Top 10» der erfolgreichsten Filme des Jahres. Alle zusammen generierten über 5 Milliarden US-Dollar Umsatz an den Kinokassen.
Jeder will sein Stück vom Kuchen... oder ähm... Universum
Natürlich wollen auch die anderen Filmstudios auf den Zug aufspringen und schicken ihre eigenen Film-Universen ins Rennen. Universal lancierte mit der eher mässigen Neuauflage von «Die Mumie» sein «Dark Universe», welches bereits nach dem ersten Film zu straucheln beginnt.
Und das andere grosse Comic-Studio, DC, weiss auch nach «Justice League» (mit Batman, Wonder Woman und weiteren Helden) noch immer nicht, wie es sein Superhelden-Universum erfolgreich und stimmig positionieren soll, denn der einzige wirklich erfolgreiche Film war «Wonder Woman» – welcher als einziger Film für sich selbst funktioniert.
Mit der «The Conjuring»-Reihe von Warner Bros. Studios gibt es auch im Horror-Genre ein äusserst erfolgreiches «Cinematic Universe» (Zwei «Conjuring»-Teile, zwei «Annabelle»-Teile und demnächst «The Nun» und «The Conjuring 3», welche alle im selben Universum spielen und miteinander verbunden sind). «The Fast and the Furious» zählt bereits acht Teile, zwei weitere Filme sind angekündigt und der Ableger «Hobbs und Shaw» (mit zwei Nebenfiguren aus der Reihe) startet 2019 und spielt im selben Film-Universum.
Franchises dominieren seit 2003
Warum stört mich dieser Franchising-Wahn der Studios? Es scheint ja ganz gut zu funktionieren: die erfolgreichsten Filme der Gegenwart sind entweder Neuverfilmungen bekannter Klassiker (Disney verfilmt in den kommenden Jahren sämtliche erfolgreichen Zeichentrickfilme neu, in diesem Jahr war das «Die Schöne und das Biest», welches der zweiterfolgreichste Film des Jahres 2017 ist), Weiterführungen klassischer Filmreihen (ab nächster Woche «Star Wars: The Last Jedi») oder eben die Superhelden-Universen der Comic-Firmen Marvel und DC.
Das alles hat seine Berechtigung, denn die Fans strömen für bekannte Franchises in Scharen in die Kinos. Eine kurzes Beispiel?
Seit 2003 (Finding Nemo) war der erfolgreichste Film eines Jahres mit der Ausnahme von Avatar (2009) immer ein Franchise-Film (also eine Fortsetzung einer etablierten Filmreihe). In 7 Fällen stand eine Comic-Book-Adaption an der Spitze.
Marvel und DC sind aktuell übermächtig, was die Charts an den Kinokassen anbelangt. Im Gegensatz zu mir scheinen beim Publikum auch keine Müdigkeitserscheinungen vorhanden zu sein.
Das nervt mich an diesen «Cinematic Universes»
Ich bin ganz offen: Ich mag Marvel- und DC-Filme sehr. Den ersten Teil von «The Guardians of the Galaxy» fand ich so saukomisch wie schon lange keinen Film mehr. Nur gibt es ein Problem: Jeder aktuelle Marvel- und DC-Film ist bloss ein Trailer für die kommenden Filme. Sie funktionieren alle nach der exakt selben Formel – und geben sich nicht einmal gross Mühe, diese zu verstecken. In Fachkreisen nennt sich das die «Marvel Formula».
Ein guter Film lebt von seiner Spannung und tollen Überraschungsmomenten, insbesondere im Bereich Action- und Superheldenfilm. Das Problem: wie soll man intensiv mit Figuren mitfiebern, wenn die nächsten Abenteuer bereits über Jahre hinweg angekündigt sind (und man sogar bereits weiss, welche Figuren aus dem Universum ebenfalls in anderen Filmen auftauchen werden). Wie soll eine Geschichte in sich stimmig sein, wenn sie nebenbei noch die kommenden drei Filme ankündigen und neue Helden einführen soll, deren Hauptfilme erst noch anstehen?
Vorbild «The Dark Knight», «Logan» und «Deadpool»: Es ginge auch anders
Denn auch Popcorn- und Mainstream-Kino kann berühren und überwältigen. Das haben Meisterwerke wie «The Dark Knight», Die «Herr der Ringe»-Trilogie, «Dunkirk» oder erst kürzlich «Deadpool» (erfolgreichster «Ab 18 Jahren»-eingestufter-Film aller Zeiten) bewiesen. Popcorn muss nicht zwingend tiefgründig und gehaltvoll sein. Aber es soll mich mitreissen, fordern und berühren – und nicht einfach bloss ein Lückenfüller zum nächsten Film hin sein!
Und: da jetzt alle Studios Husch-Husch ihre eigenen Universen aufbauen wollen, werde ich mit einer Reihe an hastig realisierten Filmen einiger Lieblings-Helden bombardiert. Gute Kunst benötigt Zeit. Für diese bleibt aber in diesem «Cinematic Universe»-Wahn (Achtung, Schenkelklopfer), schlicht keine Zeit.
US-Regisseur James Mangold hat dieses Jahr mit seinem fantastischen Film «Logan» (einem Film der «X-Men»-Serie und mit einem Einspielergebnis von über 600 Millionen einer der erfolgreichsten dieses Jahres) gezeigt, dass Superhelden-Filme eine dramatische, mitreissende und emotionale Wucht entfalten können, welche mich berühren und auch nach dem Kino-Besuch noch lange nachhallen.