Wahrscheinlich dreht sich der Schweizer Umweltaktivist Bruno Manser gerade im Grab um. Oder er blickt von irgendwoher gehässig runter (oder hoch) und sieht, dass sich seit seinem Kampf gegen die Abholzung des Regenwalds nicht viel getan hat. Dass alles nichts gebracht hat:
Seine Plakat-Aktion am G7-Gipfel in München, als er sich für ein Embargo von malaiischem Tropenholz einsetzte. Sein Hungerstreik vor dem Berner Bundeshaus. Das Treffen mit dem damaligen Uno-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali. Und vorallem seine Reisen in den Urwald von Borneo, in dem er zwischen 1984 und 1990 mit dem Stamm der Penan gelebt und sich sein Leben lang gegen seine Abholzung (und die damit verbundene Vertreibung der Penan) eingesetzt hatte.
Seither: Immer wieder das Gleiche. Jüngstes Beispiel: Die massive Abrodung von Regenwald im brasilianischen Amazonas. «Habt ihr denn gar nichts gelernt?», würde sich Bruno Manser – wo auch immer er gerade ist – wohl denken.
Der Zeitpunkt passt
An (gesellschafts-)politischer Relevanz ist Regisseur Niklaus Hilbers Biopic «Bruno Manser – die Stimme des Regenwaldes» schon einmal nicht zu überbieten. Dass sein Werk nur wenige Wochen nach der flammenden Rede von Umweltaktivistin Greta Thunberg in New York im Kino zu sehen ist – damit hätte der Filmemacher wohl nicht gerechnet.
Eine gewichtigere PR-Maschine als die junge Schwedin gibt es in Umwelt- und Klimafragen derzeit schlichtweg nicht. Vielleicht sollte sich Thunberg den Film ansehen. Vielleicht wird sie sogar. Denn soviel sei verraten: Es lohnt sich.
Optische Traumreise
Mansers Lebensgeschichte liest sich wie ein Krimi – es wäre viel zu schade gewesen, sie nicht zu verfilmen. Eine Mammutaufgabe, an die man sich erst einmal herantrauen muss. 1984 entscheidet sich der Basler Ethnologe, das Urvolk der Penan im Regenwald von Borneo und deren Lebensweise zu erforschen.
Hier setzt Hilbers Film mit einem optischen Paukenschlag ein, der dem Zuschauer die riesige Dimension dieser Geschichte vermittelt – und, dass weder Kosten noch Mühen gespart wurden. Es sind atemberaubend schöne Bilder des bornesischen Urwalds, über den der Zuschauer als Erstes kreist. Chef-Kameramann Matthias Reisser war zuständig für die den ganzen Film überdauernde, beeindruckende Bildarbeit. Untermalt wird diese Szenerie von einem epischen Soundtrack, für den Oscar-Preisträger Gabriel Yared («The English Patient») verantwortlich war.
Schelkers Paradestück
Und dann ist da Sven Schelker (29), der Bruno Manser verkörpert. Dem jungen Schauspieler steht die Faszination für diese unwirkliche Schönheit der unberührten Natur von der ersten Minute an ins Gesicht geschrieben, als er per Kutter in das Siedlungsgebiet der Penan chauffiert wird. Ob er sich das denn wirklich antun wolle, fragt ihn der Fahrer. Er werde hier nicht lebend rauskommen.
Mansers Blick verrät, dass er an keinem anderen Ort dieser Erde sein möchte. Diese fast kindische Freude an der Natur zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. Sie aufrecht zu erhalten und so zu transportieren wie es Manser wohl nur selbst gekonnt hätte, ist ganz einfach – schön.
Und dann wäre da noch die Sache mit der Sprache. In einem Grossteil des Films spricht Manser nämlich Penan, erst im zweiten Part wechselt er zu seiner Muttersprache, dem Baseldeutsch. Dass der gebürtige Basler Schelker Zweiteres perfekt beherrscht, ist selbstverständlich. Sich aber unter abenteuerlichen Dreh-Bedingungen eine indigene Sprache anzueignen, verdient grössten Respekt.
Kurzum: Mit diesem Film wird sich Schelker, den viele vor allem als Travestie-Künstler in Stefan Haupts «Der Kreis» (2014) kennen, schneller auf die Casting-Listen internationaler Produktionen spielen, als ihm vielleicht sogar lieb ist.
Nicht dem Ethnokitsch verfallen
Die Gefahr bei einem solchen Werk, dem plumpen Ethno-Kitsch zu verfallen, wäre auf jeden Fall da gewesen. Hilber hätte den bornesischen Urwald als Paradies auf Erden darstellen können, als Zufluchtsort für die Ausgestossenen der westlichen Gesellschaft.
Zwar gibt Mansers konservativer Vater auf dem Sterbebett zu, dass es ja sein könne, dass «die Penan eigentlich schon viel weiter sind als wir», Regisseur Hilber hat es aber nicht darauf abgesehen, das westliche Basel mit dem ursprünglichen Borneo zu vergleichen, gschweige denn, das Eine über das Andere zu stellen.
Natürlich hat er die dramatische Lebensgeschichte des Umweltaktivisten mit einigen Hollywood-Elementen angereichert, eine rührende Liebesgeschichte und Verfolgungsjagden inklusive. Das optische und inhaltliche Spektakel sind in diesem Fall aber nur Konfektionsmittel für eine übergeordnete, wichtige Botschaft: Der Kampf, den Bruno Manser einst begann, geht weiter. Und ist aktueller denn je.
Wie die Faust aufs Auge
Am diesjährigen Zurich Film Festival war «Bruno Manser – die Stimme des Regenwaldes» der Eröffnungsfilm. Die Programmleistung hat freilich Mut bewiesen: Eine klarere Botschaft in Richtung Schweizer Filmszene kann es fast nicht geben, eine Botschaft, die dazu ermutigen soll, genauso weiterzumachen und sich auch von auf den ersten Blick komplexen Stoffen nicht aufhalten zu lassen.
Wenn ein Filmemacher es dann gleichzeitig noch schafft, auf spektakuläre Art und Weise den Zeitgeist zu treffen, kann man von einem perfekten Festivalstart sprechen. Und Niklaus Hilber sollte sich schleunigst nach einem Verleiher in Schweden umsehen. Greta Thunberg würde «Bruno Manser - die Stimme des Regenwaldes» auf jeden Fall sehr mögen.
«Bruno Manser – die Stimme des Regenwalds» startet am 7. November in den Kinos der Deutschschweiz.