Eine nicht repräsentative Umfrage auf Instagram zeigt: junge Erwachsene haben häufig Mühe mit Telefonieren. Wenn eine fremde Nummer anruft, nimmt Linus (27), Teilnehmer der Instagram-Umfrage, das Telefon nie ab. «Ich finde das suspekt. Woher hat die Person meine Handynummer? Was will die von mir?» Stattdessen googelt er die Nummer nach dem Klingeln und dann entscheidet er, ob er zurückrufen will oder nicht.
Genau so macht es auch Yael (22), die bei unserer Umfrage mitgemacht hat. Für sie ist Telefonieren sogar purer Stress: «Ich habe panische Angst davor, beispielsweise Termine telefonisch zu vereinbaren». Das haben sie beide in unserer Instagram-Umfrage angegeben.
Es wird als höflicher empfunden, zuerst jemandem zu schreiben, ob man anrufen darf.
Es macht ganz den Eindruck, als würden junge Leute nicht (mehr) gerne telefonieren. «Der Kommunikationskanal Nummer eins sind auf jeden Fall Messenger wie beispielsweise WhatsApp», bestätigt Kommunikationswissenschaftler Daniel Süss. In der JAMES-Studie untersucht er mit seinem Team alle zwei Jahre das Mediennutzungsverhalten von Jugendlichen, darunter auch das Telefonverhalten.
Die Zahlen von 2020 zeigen: 74% aller Befragten nutzen ihr Handy täglich oder mehrmals pro Woche, um zu telefonieren. Seit 2014 ist diese Zahl relativ konstant, vorher (2010) lag sie bei rund 80%. «Die Telefonate sind aber kürzer geworden», fügt Süss hinzu.
Gründe, weshalb Jugendliche heute weniger telefonieren, sind gemäss dem Experten unterschiedlich: Textnachrichten sind – gerade in der Öffentlichkeit – intimer als Anrufe, spontane Anrufe werden als etwas aufdringlich empfunden und viele hätten oftmals Angst, dass etwas Schlimmes passiert sei, wenn jemand anruft.
In der Öffentlichkeit eine Nachricht zu schreiben ist viel intimer, als jemanden anzurufen, weil niemand zuhören kann.
Gerade bei formellen Telefonaten, wie beispielsweise bei einem Amt oder einer offiziellen Stelle anzurufen, ist die Überwindung noch grösser. «Viele Jugendliche empfinden Telefonieren als sehr anstrengend, weil man spontaner sein muss und sie überzeugend wirken müssen», erklärt der Wissenschaftler.
Auch Social Media hat dabei einen Einfluss: «Wir können Profile von fremden Menschen anschauen und erhalten so einen ersten Eindruck von ihnen, wenn wir mit ihnen in Kontakt treten und beispielsweise eine Freundschaftsanfrage verschicken.» Dass wir keine Ahnung haben, wer die Person gegenüber ist – wie eben bei einem Anruf an eine offizielle Stelle – ist in der heutigen Zeit für viele sehr ungewohnt und kann verunsichern.
Sicher aber ist: Das Bedürfnis an Kommunikation ist auch bei jungen Leuten sehr gross. Die Art der Kommunikation ist aber in einem ständigen Wandel. Denn auch im Zeitalter von Smartphones sind junge Menschen im Austausch mit anderen – aber eben über andere Kanäle. Vorher wurde stundenlang miteinander telefoniert, heute werden lange (Sprach-)Nachrichten verschickt.