Am 19. April 1965 druckte das Fachmagazin «Electronics» einen Artikel des Chemikers Gordon Moore über die Zukunft der Elektronik-Branche ab. Darin beschrieb der damals 37-Jährige, wie sich diese Industrie verändern wird: Elektronische Bauteile würden bald so billig, dass sich jeder Haushalt einen eigenen Computer leisten könne. Und Transistoren könnten in so grossen Stückzahlen hergestellt werden, dass man sie schliesslich auch in Armbanduhren finden werde. Die Ursache für diese Revolution war der Chip – der integrierte Schaltkreis, der ein paar Jahre zuvor entwickelt worden war.
Das Mooresche Gesetz
Moore prognostizierte 1965, dass jedes Jahr eine neue Generation dieser integrierten Schaltkreise auf den Markt kommen werde – mit doppelt so vielen Bauteilen wie die Generation zuvor. Bis 1975 werde es deshalb möglich, 65'000 Komponenten auf einen Chip zu bringen.
Für die ersten zehn Jahre traf die Prognose – heute als «Moore's Law» bezeichnet – mit erstaunlicher Präzision ein. Erst danach verlangsamte sich der Chip-Zyklus auf 18 bis 24 Monate. Wie war es möglich, mit so hoher Genauigkeit die Zukunft der dynamischsten aller Branchen vorauszusehen?
Blick zurück in die Zukunft
Moore schrieb den Artikel als Forschunsgleiter von «Fairchild Semiconductor», einer Chip-Fabrik, die er zusammen mit sieben ehemaligen Arbeitskollegen ein paar Jahre zuvor in Paolo Alto gegründet hatte.
Mit von der Partie war auch der Schweizer Jean Hoerni. Dem Physiker aus Genf war es Anfang der 60er-Jahre gelungen, ein neuartiges Verfahren zur Fertigung flacher Transistoren zu entwickeln – die Voraussetzung für die Chip-Revolution.
Moore analysierte die Produktion der vergangenen fünf Jahre in seiner Firma. Ihm fiel auf, dass er und seine Kollegen in der Lage waren, die Anzahl der Bauteile Jahr für Jahr zu verdoppeln. Vor allem aber schätzte er die wirtschaftlichen Vorteile richtig ein, die die neuartigen Chips gegenüber der herkömmlichen Elektronik hatten.
Der Unternehmer sah voraus, dass sich die Kosten mit integrierten Schaltkreisen drastisch reduzieren lassen – eine Einsicht zu einem Zeitpunkt, als Chips bloss eine Handvoll Bauteile enthielten, was einen integrierten Schaltkreis teurer machte als Transistoren, Kondensatoren und Widerstände traditioneller Bauweise.
Die Eigendynamik des Gesetzes
Moores Gesetz ist eigentlich eine Beobachtung und gar kein Gesetz. Etwa zehn Jahre nach Moore wies der Forscher Robert Dennard dann aber nach, dass es dank der damals neuen CMOS-Technologie möglich ist, Chips so zu schrumpfen, dass die einzelnen Transistoren ihre physikalischen Eigenschaften nicht verändern. Diese Erkenntnis machte aus Moores Prophezeihung ein Dogma, das die IT-Industrie für Jahrzehnte unter Druck setzte.
Jeder Chip-Hersteller wusste: Schafft er die Verdoppelung bis Ende des Zyklus nicht, ist er weg vom Fenster. So wurde eine einmalige Dynamik entfesselt: Bestand 1971 der Intel-Chip 4004 noch aus 2400 Transistoren, so sind heute im A8 eines iPhones zwei Milliarden dieser Schalter eingebaut und verdrahtet.
Wie lange noch?
Mehr als dreissig Jahre lang konnte die Industrie die Vorhersage des Mooreschen Gesetzes erfüllen, indem sie die Bestandteile eines Chips einfach verkleinerte. Doch seit etwa zehn Jahren funktioniert das nicht mehr: Die elektronischen Bauteile sind mittlerweile auf wenige Dutzend Moleküle geschrumpft: so winzig, dass andere physikalische Gesetze gelten. Quantenphysikalische Effekte stören nun das reibungslose Funktionieren – zum Beispiel, wenn Strom fliesst wo keiner fliessen sollte.
Steigerung um jeden Preis
Doch hinter den Kulissen versucht die Industrie mit verschiedenen Tricks, die Leistung der Chips weiterhin zu steigern, etwa indem die Bauteile jetzt auch in der dritten Dimension angeordnet werden. Oder sie versucht, ihr Produkt attraktiver zu machen – für Smartphone-Hersteller beispielsweise, indem sie Sensoren fürs Handy direkt auf den Chips anbringt.
Folge: Die Produktion eines Smartphones wird günstiger und der Konsument wähnt sich in der Illusion, dass alles weiter geht wie eh und je. Doch niemand weiss, wie lange die Industrie die Dynamik von Moores Gesetz noch aufrechterhalten kann. Gordon Moore selbst wundert sich, wie präzise er vor 50 Jahren die Zukunft voraussagte – und welche Bekanntheit ihm das einbrachte. Erstaunt stellt er fest, dass es bei Google zu «Moore's Law» mehr Einträge gibt als zum ebenfalls legendären «Murphy's Law».
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