Mit dem Online Portal «Zalando» haben die drei deutschen Samwer-Brüder bereits den Modemarkt verändert. Nun wollen sie einen weiteren Markt umkrempeln: das Geschäft mit dem Essen. Genauer gesagt: mit Lieferdiensten.
Ihre Firma «Rocket Internet» hat unzählige Lieferdienste in verschiedenen Ländern gekauft oder sich daran beteiligt, darunter «Foodpanda» und «Hero Delivery», der auch auf dem Schweizer Markt mitmischt. Dabei geht es um viel Geld: Alleine die 30-Prozent-Beteiligung an «Foodpanda» hat rund 500 Millionen Euro gekostet.
Die drei Unternehmer verlassen sich nicht nur auf ihren eigenen Instinkt. Wie schon bei ihrem grössten Erfolg, dem Online-Dienst «Zalando», springen die Samwers auf einen Trend auf, den andere vor ihnen ausgemacht hatten.
Trend aus den USA
In den USA ist die technische Revolution beim Food-Delivery schon seit Jahren ein Thema. Ende 2012 schrieb der Investor Dave McClure in einem Blog-Eintrag über das ineffiziente System «Restaurant», das geradezu nach digitalen Lösungen schreit. «Jeder isst, jeder ist online – worauf zum Teufel warten wir eigentlich noch?» Mit geeigneten Konzepten locke ein gigantischer Markt, ist er überzeugt.
Everyone eats, everyone is online; what the hell are we waiting for?
Investoren wie McClure haben dabei die neuen Bedürfnisse einer breiten Schicht von Konsumenten im Auge.
Zugreifen, zahlen und weiter
Auch in der Schweiz haben sich die Essgewohnheiten und Bedürfnisse geändert, wie eine Studie des Gottlieb Duttweiler Instituts zeigt. Ein Grund für diesen Wandel liegt in der gesteigerten Mobilität: «Wir sind heute viel mehr unterwegs. Wir haben nicht mehr zwei Stunden Zeit, um uns in Ruhe in ein Restaurant zu setzen», sagt Bettina Höchli, Leiterin der Studie. Der Zürcher Gastronom Rolf Hiltl, der verschiedene Restaurants und Take-Aways betreibt, bestätigt diese Beobachtung: «Wir sind heute bei den Grab-and-go-Konzepten. Das heisst: Man nimmt etwas und geht wieder.»
Dazu kommt eine neue Einstellung zur Ernährung. Für viele ist wichtig, was sie essen: Gesund, frisch, ökologisch und am liebsten selbst zubereitet muss es sein – letzteres steht im klaren Gegensatz zur ständigen Mobilität. Dass diese neuen Bedürnisse die Gastonomie verändern werden, steht für Höchli fest – auch wenn die Schweiz bei neuen Lösungen im internationalen Vergleich noch hinterherhinkt.
Wette auf den Hauslieferdienst
In den USA hingegen herrscht schon seit mehreren Jahren Goldgräberstimmung: Start-ups, die gestresste Kunden auf der Suche nach Nahrung in irgendeiner Form entlasten, schiessen wie Pilze aus dem Boden. Die Grossen wie Amazon und Google drängen ebenfalls in diesen Markt.
Einige der Neulinge arbeiten an originellen Lösungen, die weit über das altbekannte Prinzip Pizza-Lieferdienst hinausgehen, wie die folgenden Beispiele zeigen.
Instacart: Personal Shopper
Instacart erledigt Einkäufe auf Bestellung. Über die Instacart-App tritt eine Kundin mit einem persönlichen Shopping-Assistenten in Kontakt, dem sie ihre Einkaufsliste schickt. Anschliessend streift der Assistent durch die Läden, ruft gegebenenfalls bei der Kundin an, falls ein Produkt nicht erhältlich ist und liefert anschliessend die Ware nach Hause.
Instacart hat Ideen von anderen erfolgreichen Start-ups abgekupfert: Wie die Uber-Fahrer sind die Personal-Shopper nicht fest angestellt, sondern arbeiten einfach, wenn sie Zeit haben. Das Unternehmen geht so ein geringeres Risiko ein und braucht weniger Startkapital. Der Nachteil: Damit das System funktioniert, braucht es eine kritische Masse an Kunden und Personal-Shoppern. Vorteil für die Kundin: Der Dienst ist flexibel, da man immer in Kontakt mit dem Personal-Shopper bleibt; der Assistent kann in verschiedenen Supermärkten oder Spezialgeschäften einkaufen.
Blue Apron: Unterstützung beim Kochen
Blue Apron liefert alle Zutaten für ein Menü mit dem entsprechenden Rezept nach Hause. Kochen muss man also selbst; doch der Gang in den Supermarkt entfällt ebenso wie die Suche nach einem Rezept. Weitere Vorteile für den Konsumenten: günstiger als eine Fertigmahlzeit und keine Verschwendung von Lebensmitteln, da alle Zutaten genau abgemessen werden.
UberEATS: Reduktion aufs Wesentliche
Die Taxi-Alternative Uber mischt auch im Geschäft ums Essen mit. UberEATS verspricht, in zehn Minuten ein Menü zu liefern.
Der Trick: Das Angebot und das Liefergebiet werden auf ein absolutes Minimum reduziert. Für New York bedeudet das täglich die Wahl aus zwei verschiedenen Menüs, die nur ins Zentrum von Manhattan geliefert werden (14. bis 59. Strasse). Der Vorteil: schnelle Lieferung, entscheidend bei anspruchsvollen Gerichten. Der Nachteil: Das funktioniert nur in einem begrenzten Gebiet mit grosser Nachfrage.
Was passiert in der Schweiz?
Gastronom Hiltl steht dem Heimlieferdienst skeptisch gegenüber. «Die Komplexität der Logistik darf man nicht unterschätzen», sagt er. Der Aufwand sei gross, besonders die hohen Lohnkosten in der Schweiz würden zu einem Problem. «Ein paar Schuhe kann man verschicken und die kommen dann irgendwann an. Bei Lebensmitteln geht das nicht, weil die Hygiene eine Rolle spielt.»
Dazu kommt: Ist ein Gericht eine Stunde unterwegs, so sieht es nicht mehr so aus, als wenn es frisch aus der Küche auf den Tisch kommt. Der Gast muss also zu kulinarischen Abstrichen bereit sein.
Studienleiterin Bettina Höchli ist überzeugt, dass sich die Gastronomie auch bei uns verändern wird. Denn: Die Probleme mögen noch so gross sein – besteht ein Bedürfnis, so wird jemand eine Lösung finden, meint die Forscherin.
Auch die Gebrüder Samwer gehen davon aus, dass wir in Zukunft weniger einkaufen und mehr Nahrungsmittel liefern lassen. Wie ihre Vorbilder in den USA investieren sie hunderte Millionen Euro in Heimlieferdienste. Die Börse steht dieser Taktik mindestens kurzfristig kritisch gegenüber: Die Aktie der Firma «Rocket Internet» ist zurzeit an einem Tiefpunkt angelangt.