Die Messe-Welt scheint etwas durcheinander geraten: Statt Gadgets sorgen an einer der wichtigsten Elektronikmessen vor allem Firmen aus der Autobranche für Aufsehen – noch bevor die Tore der Veranstaltung überhaupt geöffnet worden sind. Volkswagen beispielsweise hat pünktlich zur Messe erklärt, dass in zukünftigen Modellen das Carplay von Apple eingebaut sein werde, also quasi das iPhone – als komfortable Zusatzoption ins Fahrercockpit integriert.
Die aktuelle Entwicklung geht aber über reine Komfort-Anwendungen hinaus. Audi lässt einen A7 die 900 Kilometer lange Strecke vom Silicon Valley zur Messestadt Las Vegas in weiten Teilen selbst abfahren – ohne menschlichen Fahrer. Und Autozulieferer Bosch hat ein System angekündigt, mit dem Autos schon in diesem Jahr selbst fahren können – und zwar Serienfahrzeuge, kein Prototyp wie der A7 von Audi.
Selbstfahrende Autos: Früher als erwartet
Damit ist klar: Hochautomatisiertes Fahren wird es viel schneller auf unseren Strassen geben, als selbst Fachleute es noch vor wenigen Jahren für möglich gehalten hätten. Bosch will schon in diesem Jahr mit einem europäischen Fahrzeughersteller einen Stau-Assistenten auf den Markt bringen, der das Auto bis zu einer Geschwindigkeit von 60 km/h in der Spur hält, beschleunigt und zuverlässig hinter dem Vordermann zum Stehen bringt.
Mit diesem System will Bosch 2016 eine Milliarde Euro Umsatz machen – und das dürfte nur ein erster Schritt sein, denn die Entwicklung der Assistenzsysteme geht rasend schnell weiter.
In den nächsten Jahren soll der Assistent laut Bosch nicht mehr nur im Stau zum Einsatz kommen wird. Er soll auch höhere Geschwindigkeitsbereiche und komplexere Fahrsituationen abdecken können, zum Beispiel selbständige Spurwechsel. Dann werden zu einem grossen Teil Kameras, Sensoren, Rechenleistung und Steuer-Algorithmen die Tätigkeit des Fahrers übernehmen.
Verkehrsrisiken – rechtlich und praktisch
Technisch sind autonome Autos, zumindest teilweise, also schon Realität. Seit einer Anpassung des Wiener Übereinkommen über den Strassenverkehr im vergangenen Jahr dürfen sie theoretisch auch auf unseren Strassen herumfahren, solange sie jederzeit vom Fahrer gestoppt werden können. Er darf sich also niemals komplett aus dem Fahren ausklinken, zum Beispiel schlafen, sondern muss jederzeit bereit sein einzugreifen, wenn das System nicht mehr weiter weiss.
Wenn ein System rechtzeitig selbst erkennt, dass es nicht mehr problemlos fahren kann und dies dem menschlichen Fahrer auch signalisiert, könnte der Hersteller bei einem Unfall nicht haftbar gemacht werden. Diese «Übergaben» sind allerdings eine grosse Herausforderung – nicht nur für die Hersteller, sondern auch für menschliche Autofahrer.
Der Komfort des automatisierten Fahrens könnte schliesslich erlauben, gedanklich ganz woanders zu ein. Und noch muss sich zeigen, ob Menschen fähig sind, längere Zeit entspannt und unbeteiligt in einem selbst fahrenden Wagen zu sitzen und dann innert Sekundenbruchteilen wieder das Kommando zu übernehmen.
Fussgängerstreifen «im Kofferraum»
Trotz solcher offenen Fragen treibt die Branche die Entwicklung weiter voran. Mercedes hat für die Nicht-Auto-Messe CES sogar ein spezielles Auto gebaut: den «F 015», einen Wagen, der so wohl nie in Serie gehen wird. Aber er veranschaulicht, wie dominant digitale Technologie in Autos werden wird.
Ähnlich wie beim bereits erhältlichen Tesla S, über den wir hier vor kurzem berichtet haben, gibt es keine Knöpfe oder Schalter mehr. Dafür sind an jeder Tür und unter dem Armaturenbrett grosse Displays eingelassen. Der «Fahrer» steuert den «F 015» mit Gesten, Bewegungen der Augen und Berühren der Displays.
Aussen hat das Auto vorne und hinten grosse Leuchtflächen. Die Farbe des vorderen Lichts zeigt den Fahrmodus an: Weisses Licht bedeutet, dass ein Menschen am Steuer die Verantwortung trägt. Blaues Licht signalisiert den autonomen Betrieb und warnt Passanten.
Erkennt das Fahrzeug einen Fussgänger, zeigt es dies durch einen Lichtbalken an – für den Passanten das Signal, dass er gefahrlos vor dem Fahrzeug vorübergehen kann. Ausserdem kann das Forschungsfahrzeug per Laser einen stilisierten Zebrastreifen auf die Fahrbahn malen – als Service für einen Fussgänger, der damit weiss, dass er die Strasse vor dem Wagen überqueren darf.
Ein Auto, das den eigenen Fussgängerstreifen quasi immer «im Kofferraum» mit dabei hat – für Automobilisten ist dies ein Traum, doch es bleibt abzuwarten, ob in Zukunft rechtlich die Autos bestimmen dürfen, wann Fussgänger über eine Strasse gehen dürfen und wann nicht.
Software auf Rädern
Der «F 015» zeigt dennoch exemplarisch, wie stark die Autobranche im Umbruch ist: Schlüssel zum kommerziellen Erfolg sind Assistenzsysteme. Sie liefern schon heute die starken Argumente für den Kauf eines Autos: zusätzlichen Komfort, Sicherheit – und in Kombination mit neuen Antriebsarten wie Elektromotor auch Energie-Einsparung.
Da Assistenzsysteme aus viel Elektronik wie Sensoren und Kameras bestehen, die gekoppelt mit Rechenleistung und Algorithmen dem Fahrer «Arbeit» abnehmen, macht es Sinn, dass die Branche ihre Entwicklungen an der CES präsentiert. Denn Autos sind immer mehr vor allem eines: Software auf Rädern und digitale Mobilitäts-Vehikel.
Da passt es bestens, dass an der Messe auch Firmen anwesend sind, die nicht aus der Autobranche stammen, aber auf dem Weg sind, sich dort einzunisten: Google mit seinen eigenen selbst fahrenden Autos. Oder der Chiphersteller Nvidia: mit dem dem «Tegra X1» stellt er an der CES einen Prozessor vor, der mit einem Teraflop Leistung reichlich Rechenpower liefert – für die Autopilot-Funktionen künftiger Autos.