Ein grosser Platz bei der Firma Schöni Logistik im oberaargauischen Wynau. Hier steht er, rot leuchtend, ein 40-Tonnen-Truck der neusten Generation. Und nebendran Daniel Hüsler. Er sitzt seit 24 Jahren hinter dem Steuer solcher Boliden. Wir steigen ein – oder besser: zwei Meter hinauf in die Fahrerkabine, zusammen mit Ralf Mock, einem Grosskundenbetreuer der Firma Renault Trucks.
Die Elektronik übernimmt
Die Kabine ist erstaunlich grosszügig. Es hat viel Platz zwischen dem Fahrersitz und dem Beifahrersitz. Das liegt vor allem daran, dass es weder einen Schalthebel noch eine Handbremse gibt, die den Zwischenraum ausfüllen. Moderne Lastwagen besitzen nur noch ein Lenkrad mit einem Display in der Mitte, verschiedenen Hebeln und Schaltern links und rechts, über die der Fahrer kontrolliert und steuert, was er noch im Griff haben muss.
Hier ist nichts mehr mechanisch, sondern alles digital. Sogar das Lenkrad könnte im Prinzip durch einen Joystick ersetzt werden – eine direkte mechanische Verbindung zu den Rädern gibt es nicht mehr.
Durch diese Entkoppelung von der Bedienung ist es möglich geworden, dass immer mehr Elektronik den Fahrer unterstützt. Und das Fahren zum Teil schon übernimmt.
Notbremsassistent? Bald Standard
Daniel Hüsler startet den rund 500 PS starken Motor des Lastwagens, biegt vom Parkplatz auf die Hauptstrasse ein, beschleunigt auf 80 Kilometer pro Stunde und steuert auf eine Kurve zu. Plötzlich ertönt von rechts ein unangenehmer Ton: der Spurhalteassistent.
Dieses System warnt den Fahrer, wenn er den Wagen zu weit nach rechts an den Strassenrand oder zu weit nach links lenkt, so dass es eine Kollision geben könnte. Dann kann der Fahrer Gegensteuer geben – tut er es nicht, können ganz fortschrittliche Assistenzsysteme es gleich selbst übernehmen.
Eine Spurabweichung erkennen und bei Hindernissen selbst bremsen: Das muss ab 1. November 2015 jedes neu zugelassene Fahrzeug können. Noch nicht vorgeschrieben wird sein, dass der Lastwagen sich selbst aus einer gefährlichen Situation herauslenkt. Doch viele neue Modelle könnten es theoretisch, weil der dazu notwendige Motor an der Lenksäule, der sogenannte « Aktor », bereits eingebaut ist. Der Fuhrunternehmer muss die Funktion nur wollen, also bezahlen – dann schaltet der Hersteller sie mit einer Software-Aktualisierung frei.
LKW: Zuerst booten, bitte!
Die Software läuft auf Steuergeräten, von denen in einem modernen Lastwagen mehrere Dutzend verbaut sind. Es sind spezialisierte Computer, die noch vor wenigen Jahren zu wenig Leistung hatten, als dass der Lastwagen nach dem Starten sofort hätte losfahren können.
«Wenn man die Zündung gedreht hat und dann auf Anlass-Stellung gegangen ist, hat es bis zu 28 Sekunden gedauert, bis der Wagen startbereit war», erzählt Ralf Mock, Grosskundenbetreuer bei Renault Trucks (ganzes Interview links), «was Elektronik angeht, läuft in so einem LKW sehr viel ab.»
Viel Rechenleistung benötigt zum Beispiel eins der ausgefeiltesten Assistenzsysteme: der automatische Abstandhalter. Solche Assistenten kennt man auch von Personenwagen. Doch dort werden sie derzeit vor allem in Oberklasse- und teureren Mittelklassewagen als zusätzliche Komfortfunktion angeboten. In LKWs sind sie heute quasi Standard.
Assistenten als Sparhelfer
Pilotprojekte selbst fahrender LKWs
Der Grund für die weite Verbreitung: Anders als bei den Personenwagen sind nicht nur Komfort und Sicherheit wichtige Aspekte, um Assistenzsysteme einzusetzen – ein viel wichtigerer Faktor beim Kaufentscheid ist die Wirtschaftlichkeit.
Bei LKWs gibt es deshalb sogar Assistenten, die bei PKWs in der Regel gar nicht eingebaut werden: Assistenten, die dem Motor beim Bergauf-Fahren genau die richtige Menge Diesel zuführen. Oder intelligente Kupplungen, die den Motor beim Bergab-Fahren von der Achse trennen. Wird der Lastwagen zu schnell, kuppelt der Assistent das Getriebe automatisch wieder ein, damit der Motor seine Bremswirkung entfalten kann.
Der gläserne Brummie-Fahrer
Wirtschaftlichkeit bedeutet aber auch, dass der Lastwagen den Fahrer überwacht. Lenkrad, Gaspedal, Schaltung, Motor – alle Komponenten «sprechen» miteinander, sind vernetzt und mit Sensoren ausgerüstet, die permanent ihre Werte speichern. Sie können sie ans Werk und zum Disponenten in der Leitstelle übermitteln. Fährt der Chauffeur nur mit der Fussbremse? Hat er geblinkt? Jede Handlung wird aufgezeichnet.
Der Fahrer hat nicht mehr viele Möglichkeiten, etwas zu «verstecken». Gerade bei einem Unfall oder einem Schaden am Fahrzeug durch Fehlbedienung ist das nützlich, um die Ursache oder den Schuldigen zu finden. «Es ist soweit eigentlich alles gläsern», sagt Ralf Mock.
Doch der Sinn dahinter ist gar nicht die engmaschige Kontrolle des Fahrers, sondern Sparpotenzial. Beispiel Treibstoffdiebstahl: Jeder LKW teilt dem Disponenten exakt mit, wo sich bei welchem Fahrzeug der Tankstand um wie viele Liter verändert hat. Und diese Werte lassen sich dann mit der Abrechnung von der Tankstelle vergleichen.
Lastwagen sind heute also eigentlich nichts anderes als Smartphones auf riesigen Rädern; mit Sensoren, die jede Bewegung und jede Steuerung aufzeichnen. Und die Assistenzsysteme sind wie Apps, die Fahrer wie Daniel Hüsler unterstützen – immer mehr in Richtung einer Zukunft, in der sie vielleicht fast gar nichts mehr machen müssen.