Seit über eineinhalb Jahren wird spekuliert, nun hat Apple die Katze aus dem Sack gelassen. Respektive die Uhr: Am Dienstag hat Tim Cook die Apple Watch vorgestellt.
Die Präsentation von Apple
Damit bringt nach Pebble, Samsung, Sony, LG, Asus oder Motorola nun auch Apple eine Smartwatch. Mit dem späten Markteintritt wiederholt Apple ihre bisher bewährte Methode: Beim Musikplayer (iPod), beim Smartphone (iPhone) und beim Tablet (iPad) waren andere deutlich schneller – doch dem Giganten aus Cupertino gelang es jeweils, mit einem ausgereiften Produkt die Kunden von den neuartigen Geräten zu überzeugen.
Die Apple Watch wird Anfang 2015 erhältlich sein; Preise werden in den USA bei 350 Dollar beginnen. Dafür erhält man eine Uhr mit berührungsempfindlichem Saphirglas, einer Krone, die als Drehregler dient und einer engen Integration mit Apples Betriebssystem iOS 8.
Fitness
Die Apple Watch enthält Sensoren, die Bewegung und Puls messen können – Funktionen, die wegen des aktuellen Fitness-Armband-Booms (hier unsere Übersicht der aktuell erhältlichen Geräte) bei einer Smartwatch bereits zum Standard gehören. Weil im kommenden iOS 8 Gesundheits- und Fitnessfunktionen bereits im Betriebssystem eingebaut sind, könnte hier Apple allenfalls durch eine besonders nahtlose Integration punkten.
Damit setzt sich Apple nicht wesentlich von anderen Smartwatches auf dem Markt ab. Doch die Apple Watch wird mit allen Apple-Smartphones ab iPhone 5 kompatibel sein. Tim Cook rechnet vor, dass die Uhr dadurch von 200 Millionen Menschen genutzt werden könnte. Da Apple in der Regel aussergewöhnlich viele ihrer Kundinnen und Kunden überzeugen kann, ihre Geräte auf die neueste Version eines Betriebssystems zu aktualisieren, könnte Apple im Gegensatz zu anderen Mitbewerbern von der aussergewöhnlichen Stellung im Markt profitieren.
Digital Crown, Digital Touch
Es ist klar, dass eine so kleine Fläche am Handgelenk nicht gleich bedient werden kann wie ein Smartphone. Apple stattet die Uhr deshalb mit einer «Digital Crown» aus: Mit einer Krone wie bei einer herkömmlichen Uhr können wir per Drehbewegung eine Auswahl treffen, Zahlen einstellen oder zoomen, ohne dabei die Sicht auf das Display zu verdecken. Bei der Vorführung schien Kevin Lynch (verantwortlich für die Entwicklung der Apple Watch, Ex-Adobe) dann allerdings meist dennoch den Touchscreen der Uhr zu benutzen.
Diese Oberfläche der Uhr ist nicht nur berührungsempfindlich, sondern kann auch feines Tasten von mehr Druck unterscheiden. Die Apple Watch gibt ausserdem nicht nur visuelles und akustisches Feedback: Eine «Taptic Engine» genannte Technologie soll uns durch leichtes Klopfen auf das Handgelenk subtil auf eingehende Nachrichten oder Fussgänger-Navigationsanweisungen aufmerksam machen.
Apple zeigte einige Anwendungen dieser Funktion: Wie eine realere Version von Facebooks «Anstupsen» kann man auf seine Uhr tippen, worauf eine ausgewählte Person dieses Tippen an ihrer Uhr spürt. Abhängig vom Kontext könnte das Tippen beispielsweise bedeuten «Lass uns jetzt essen gehen!» oder «Ich habe gerade an dich gedacht». Wer etwas deutlicher werden will, kann mit dem Finger eine kleine Kritzelei von Uhr zu Uhr übermitteln. Auch der eigene Herzschlag lässt sich so mitteilen. Das kann man eine neue Kommunikationsform nennen: kontext-sensitiv, visuell und haptisch. Oder halt eine Spielerei.
Integration in iOS 8, mit Apps
Im kommenden iOS 8 sind die Grundlagen für eine einfache Integration der Uhr mit Apps bereits gelegt. Über die «Health Kit»-Schnittstelle können Gesundheits- und Fitness-Funktionen der Apple-Smartphones und der Uhr verarbeitet werden. Und über die neue «Watch Kit»-Schnittstelle können Entwickler ihre Apps dazu bringen, beispielsweise Benachrichtigungen nicht nur auf dem Smartphone, sondern auch auf der Uhr anzuzeigen. Und spezifisch ans Handgelenk angepasste Interaktion ermöglichen.
Das kann die Android-Konkurrenz natürlich auch. Hier wird sich zeigen, welche der beiden Plattformen die überzeugenderen Interaktionsformen dieser noch sehr jungen Gerätekategorie Smartwatch anbieten kann. Zumindest aus der Sicht der Entwickler könnte es aber ein Vorteil sein, dass bei Apple die Anzahl möglicher Geräte sehr überschaubar bleibt – im Gegensatz zur jetzt schon beachtlichen Vielfalt der Grössen, Formen und Knöpfe bei Android-Smartwatches.
Individuelle Gestaltung
Apple weiss, dass eine Uhr immer auch ein modisches Statement ist, dass sich niemand ein Gerät um das Handgelenk schnallen will, das nicht gefällt. Folglich wird es die Apple Watch in zwei verschiedenen Grössen (38 oder 42 Millimeter misst die längere Kante) und mit unterschiedlichen Gehäusen geben: Stahl oder Aluminium in Silber oder Schwarz, Gold in Rosé oder Gelb. In Kombination mit verschiedenen Armbändern (Metall, Leder, Kunststoff, unterschiedliche Farben und Verschlüsse) kommen gleich 22 verschiedene Modelle auf den Markt.
Und weil sich die Armbänder auch austauschen lassen, wird es innert kürzester Zeit eine rege Zubehör-Produktion geben, analog zu den Smartphone-Hüllen.
Neues Bezahlsystem Apple Pay
Ein weiteres wichtiges Puzzleteil für die Erfolgschancen der Uhr ist die Kombination mit dem ebenfalls in der Präsentation angekündigten Apple Pay – einem System für bargeldloses Bezahlen. Apple baut im neuen iPhone 6 und eben auch der Apple Watch einen NFC-Chip (Near Field Communication) ein. Damit können beispielsweise durch blosses Hinhalten der Uhr oder des Smartphones Hoteltüren entriegelt werden. Oder eben bezahlt, ohne jede weitere Interaktion wie PIN-Codes oder Unterschriften.
Bei älteren iPhone-Modellen hatte Apple bisher auf den Einbau von NFC verzichtet, im Gegensatz zur Konkurrenz bei Android. Was jeweils für Kopfschütteln sorgte. Mit der Uhr können ältere iPhones gewissermassen nachgerüstet werden.
Apple sagt, dass sie Visa, Mastercard, Amex und einige US-amerikanische Banken bereits an Bord haben. Beispielsweise die Drive Throughs von McDonalds oder Disney sollen Apple Pay schon ab Oktober dieses Jahres akzeptieren. Natürlich aber vorerst nur in den USA, es ist noch völlig offen, wann diese Bezahlart auch den Weg in die Läden hierzulande findet.
Wasserdicht? Batterie?
Auch in Bezug auf die Uhr selbst sind noch einige wichtige Fragen unbeantwortet. So ist unklar, ob die Apple Watch wasserdicht ist. Die Elektronik im Inneren der Uhr ist auf ein «S1» getauftes «System on a chip» (SoC) zusammengeschrumpft, das laut Apples Website umschlossen sei, «to protect the electronics from the elements». Was das bedeutet, ist offen. Ebenso fehlen genaue Angaben zur Dicke und vor allem dem Gewicht der Uhr.
Kein Wort hat Apple in ihrer Präsentation über die Laufzeit der Batterie verloren. Das ist kein gutes Zeichen. Denn der Stromhunger von Smartwatches ist die Achillesferse dieser Geräte – insbesondere, weil man es sich von Uhren sonst nicht gewohnt ist, sie jeden Tag aufladen zu müssen. Immerhin funktioniert das Aufladen per Induktion, der Kontakt zwischen Uhr und Ladekabel soll dank magnetischer Verbindung einfach und auch im Dunkeln kurz vor dem Einschlafen hergestellt werden können.
Nicht ohne das Smartphone
Und schliesslich lässt sich die Apple Watch nur in Kombination mit einem iPhone nutzen, im Gegensatz zu anderen Smartwatches. Während Apple mit dem iPod, dem iPhone und dem iPad jeweils Kunden gewonnen hat, die zuvor noch nie ein Gerät von Apple besassen, ist die Apple Watch nun auf bestehende Kunden beschränkt. Natürlich ist das Argument von Tim Cook plausibel, dass 200 Millionen Kunden ein iPhone 5 oder neuer besitzen. Doch dass schmälert den Umstand nicht, dass die Apple-Smartwatch ein teures Zubehör und nicht ein eigenständiges Gerät ist.
Entsprechend schwierig ist es, die Chancen dieses Gerätes einzuschätzen. Bei Musikplayer, Smartphone und Tablet fiel es uns immer leicht, den entscheidenden Vorteil des Gerätes auf wenige Worte zu reduzieren: «Alle Musik immer dabei!» «Computer im Hosensack!» «Fingern auf der Couch!»
Bei der Smartwatch geht diese Verdichtung nicht. «Mit einem Extra-Gerät auf eine neue Weise mit dem Computer im Hosensack interagieren?» Das klingt etwas kompliziert, und deshalb ist es durchaus möglich, dass wir es hier mit einem Nischenprodukt zu tun haben.
Doch in dieser Nische hat die Apple Watch durchaus gute Argumente, um sich von Konkurrenten abzusetzen: eine enge Integration mit Apps und iOS 8, auswechselbare Armbänder und der NFC-Chip.