Eine Perle aus den Anfängen des Computerzeitalters: Ein nostalgisches Video (siehe am Ende des Artikels) der Schüler vom Schulhaus ZIL in St. Gallen liess mich nicht mehr los. Es erinnerte mich an meine eigene Schulzeit etwa zur selben Zeit, 1983. Das war an der Sekundarschule Altnau. Dort stehen heute «supermonströse Computer» herum, wie ein Schüler in diesem Video witzelt.
Mein grossartiges Programmier-Erlebnis
1983 stand an kaum einer Schule ein einziger Computer herum, weder alte – noch «monströse». Ausser, ein besonders innovativer Lehrer besorgte in Eigeninitiative ein paar Geräte. So einen gab's in Altnau, den Herrn Schweizer. Er hatte einen guten Draht zu einem Händler oder Hersteller, so genau weiss ich das nicht mehr. Auf jeden Fall standen eines Tages ein paar Macintosh 128K in seinem Klassenzimmer herum.
Ich selbst war nicht in Herrn Schweizers Klasse, konnte mir aber dank eines Kontaktes zu einem seiner Schüler Zutritt in den Raum mit den verlockenden Rechnern verschaffen. Dort schrieben wir erste Programme, zum Beispiel eines, das unsere Namen zehn Mal untereinander auf dem Monitor anzeigte – das ganze blinkend. Wow!
Dagegen waren die Schüler des Computerkurses in St. Gallen richtige Profis. Sie programmierten auf ihren Commodore VC 20 unter anderem ein Spiel, bei dem sie mit der Tastatur Strichmännchen auf dem Monitor hin und her bewegen und in eine Art Aerobic-Tanz versetzen konnten.
Mich interessierte, wie die damaligen Jung-Programmierer heute aussehen – und vor allem, was sie heute tun. Ob der Computerkurs quasi der erste Samen für eine grosse IT-Karriere gewesen war.
Die Treuhänderin
Dazu war ein bisschen Detektivarbeit nötig. Es vergingen Wochen, bis ich ein paar Schüler von damals ausfindig machen konnte. Rektor Dominik Rechsteiner war mir behilflich: Er organisierte einen ehemaligen Lehrer aus jener Zeit – zusammen analysierten sie die Bilder im Video und konnten mir drei Namen geben. Mein erster Anruf war zum Glück gleich ein Treffer: Susanne Würsch.
Ich traf sie in St. Gallen in der Nähe ihres Treuhandbüros in einem Café. Susanne Würschs Arbeitsplatz ist überall und mobil.
Dass sie damals freiwillig in diesen Kurs gegangen ist, erzählte sie, sei auf ihren Bruder zurückzuführen, der zu Hause bereits einen Computer hatte.
Die Materie sei ihr also nicht ganz neu gewesen und sie habe irgendwie gespürt, dass Computer in der Zukunft wichtig werden könnten. Dass sie heute gar nicht mehr arbeiten kann, wenn im Büro die IT-Anlage für ein paar Stunden aussteigt – wie letzthin geschehen – hätte sie sich aber nie träumen lassen.
Der IT-Verantwortliche
Der zweite Name, den mir der Rektor angegeben hatte, erwies sich als Flopp: eine Person mit Geburtsdatum 1985. Es blieb der dritte Name, Marco Abriani. Er ist im alten Video der stumme Programmierer, der sich von Susanne Würsch Anweisungen vorlesen lässt, vor laufender Kamera für die gestellte Szene einen Startbefehl eingibt, worauf dann auf dem Monitor aber gar nichts passiert.
Wer genau hinschaut, bemerkt, wie er sich deswegen einen Sekundenbruchteil ärgert und erneut etwas eintippt. Und er erinnert sich heute noch genau daran: «Ich hatte einen falschen Befehl eingegeben und musste nochmals neu beginnen!»
Trotz des kleinen Flops haben ihn Computer nicht mehr losgelassen. Seine heutige Tätigkeit ist geprägt von einer Mensch-Maschine-Beziehung: Als IT-Verantwortlicher und Bereichsleiter Produktion beim Textil-Unternehmen Isa Bodywear in Amriswil unterstützt ihn ein ausgefeilter ERP-Algorithmus beim gesamten Ablauf im Unternehmen: von der Materialbeschaffung über die Fertigung in Portugal bis zur Platzierung der Waren direkt bei den Kunden im Regal.
Als Marco Abriani das Video des Computerkurses nochmals anschaute, wies er mich auf einen Schüler hin, der ziemlich professionell Statements ins Mikrophon sprach. «Das ist Piero Stinelli! Der hat, glaube ich, in St. Gallen eine Internetbude!»
Der Internet-Unternehmer
Die hat er – und schon lange! Stinelli behauptet im Video nicht nur selbstbewusst, dass schon heute kaum mehr etwas gehe ohne Computer (1983!).Er entdeckte auch bereits 1990 das Internet, gehörte also in der Schweiz zur Netz-Vor-Avantgarde.
«Ich hatte einfach auch damals wieder das Gespür und wusste, dass das ganz gross und wichtig werden wird», meint Stinelli heute. Deshalb gründete er in den 1990er-Jahren die Vadian Net AG, einen Internetdienstleister, der sich im Laufe der Zeit immer wieder gewandelt und erweitert hat: vom Programmierer für Websites zum News-Anbieter bis zum Betreiber eigener Medien-Plattformen wie News.ch.
Der Computerkurs von 1983 war für Stinelli nicht nur ein Startpunkt für die Karriere zum Unternehmer, sondern gleich auch Personalrekrutierung. Der Junge mit der nerdigen Brille, der im Video hinter ihm steht, arbeitet seit Jahren für seine Firma.