Wie viele Eltern hat auch Irene Meier den Wunsch, dass ihre Kinder in der Freizeit nicht nur vor dem Bildschirm sitzen. Von ihrem 12-jährigen Sohn sagt sie, dass er sich im Umgang mit Computergames nur schwer zügeln könne. «Er vergisst dann alles um ihn herum, also auch seine ‹Ämtli› im Haushalt und die Schulaufgaben.»
Bei Familie Meier gelten deshalb Regeln im Umgang mit elektronischen Geräten. Es gilt ein Zeitplan, der auch kontrolliert wird. Und wenn der Sohn zu viel Zeit mit einem Game verbringt, muss er seinen iPod abgeben. «Für einen Tag oder zwei, je nachdem. Das mag hart klingen, aber es ist das wirksamste Mittel und mein Sohn kann mittlerweile auch sehr gut damit umgehen», so Irene Meier.
Für die Hirnentwicklung an die frische Luft
Es ist wichtig, dass Eltern ihren Kindern Strukturen vorgeben und ihnen damit helfen, sich im Leben zurechtzufinden. Das sagt auch der Psychologe Franz Eidenbenz, der die Behandlung im Zentrum für Spielsucht und andere Verhaltenssüchte leitet. Allerdings gehe es dabei nicht um feste Zeitlimiten: «Zeitfaktor ist nicht gleich Suchtfaktor», meint Eidenbenz. Handeln sei vor allem dann geboten, wenn das Spielverhalten problematische Auswirkungen hat. Etwa weil ein Kind dem Gamen wegen die Schule vernachlässigt oder den Freundeskreis.
Und es kommt auch immer darauf an, was ein Kind tatsächlich vor dem Bildschirm macht. Wenn es etwa seine Kreativität auslebt und den Tabletcomputer dazu benutzt, Musik zu machen, dann wäre eine Zeitbeschränkung wenig sinnvoll. Allgemeine Empfehlungen, wie viel Zeit vor dem Bildschirm verbracht werden darf, kann es deshalb nicht geben. Eltern sollten sich besser auf die Frage konzentrieren, welche wichtigen Erfahrungen ihre Kinder benötigen, damit sie sich im Leben gut zurechtfinden. Weil die moderne Welt stark durch Medien geprägt ist, gehört die Zeit vor dem Bildschirm auch dazu.
Trotzdem gibt es einige Faustregeln, an die man sich halten kann. So wird für Kinder ab drei Jahren eine Bildschirmzeit von nicht mehr als einer halben Stunde am Tag empfohlen. Grund: Kleine Kinder brauchten für die Hirnentwicklungen die direkte Begegnung mit Objekten. Und frische Luft und Bewegung sind wichtig für die sensomotorische Entwicklung. In der Primarschule können Eltern die Zeitlimite auf etwa eine Stunde erhöhen: In der Mittelstufe können es auch eineinhalb Stunden sein, vorausgesetzt, dass andere Dinge im Leben des Kindes wie Sport, Hobbies oder Freunde nicht zu kurz kommen.
Eltern sind Lehrmeister in Medienkompetenz
Mit Regeln alleine ist es aber in keinem Fall getan: Eltern müssen sich auch dafür interessieren, was ihre Sprösslinge alles spielen. Bevor strenge Regeln aufgestellt werden, sollten sich Nicht-Spieler erst einmal in der Welt der Computergames umsehen.
Dort lernen sie vielleicht, dass Games durchaus auch einen pädagogischen Wert haben können, etwa weil sie Kindern die Möglichkeit bieten, gefahrlos neue Sachen auszuprobieren. Oder weil sie die Fähigkeit schulen, Probleme zu lösen. Oder, im Fall von Action-Spielen, die Hand-Augen-Koordination verbessern und die Reaktionsgeschwindigkeit steigern.
Fachleute raten dazu, mit dem Kind zusammen zu spielen oder ihm zumindest über die Schulter zu schauen und über das Erlebte reden. Denn gerade bei kleinen Kindern können Games auch eine falsche Realität vermitteln. Etwa wenn sich der Tod eines virtuellen Haustiers einfach mit einem Neustart beheben lässt.
So komplex Computergames heute sind: Die Welt daneben ist noch komplexer – und hält auch nicht immer sofort Belohnungen bereit, die ein guter Spieler einsammeln kann. Problem: Wird so ein Belohnungsmechanismus unhinterfragt verinnerlicht und nicht durch Erlebnisse in der richtigen Welt korrigiert, kann es Kindern später an Frustrationstoleranz und Geduld fehlen.
Und nicht zuletzt müssen sich Eltern auch an der eigenen Nase nehmen und Vorbilder sein im Umgang mit Medien. Wer seinen Kindern das Computerspielen verbietet, selber aber seine Abende stumm vor dem Fernseher verbringt, ist kein guter Lehrmeister in Sachen Medienkompetenz.
Eigenes Wissen hilft mehr als blinde Sorge
Dass es wegen der Mediennutzung der Kinder zu Konflikten in der Familie kommen kann ist für Franz Eidenbenz jedenfalls ganz normal. Es sei sogar gut, wenn diese Konflikte dann konstruktiv ausgetragen und im Dialog mit den Kindern Regeln ausgearbeitet werden. Die Regeln können so auf das Kind und auf die Situation der Familie angepasst und immer wieder neu ausgehandelt werden.
Die weit verbreitete Meinung, Computerspiele könnten süchtig machen, mögen Experten nicht wirklich teilen. Zwar gibt es immer wieder Kinder, die sich in Spiele-Welten flüchten. Doch Games sind dabei nicht die Ursache des Rückzugs, sondern höchstens ein Symptom.
So schreibt etwa das nationale Förderprogramm Jugend und Medien: «Mangelnde Anerkennung im Alltag, geringes Selbstwertgefühl, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und emotionale Instabilität gelten als Risikofaktoren. Je ausgeprägter sie sind, umso grösser ist die Gefahr, abhängig zu werden. Kinder, die sich unwichtig und unverstanden fühlen, sind besonders anfällig.»