Der Ort unseres Treffens ist unspektakulär: Ein Tisch in einem Nebenraum der SRF-Kantine. Die Thematik des Gesprächs ist dafür heiss: Ein neues 360°-Video, das nach dem Erfolg der Lauberhornfahrt von Bruno Kernen erneut die Zuschauer in seinen Bann ziehen soll.
Rein, raus, hoch
Am Tisch sitzen Sylke Gruhnwald, Dominik Born und Tinet Gaudenz aus dem «Team Torpedo» von SRF und tpc. Woher der Name? Kommt gleich. Zuerst: Die drei waren zusammen mit sieben weiteren Kolleginnen bis zu 24 Stunden im bis zu dreissig Grad heissen neuen Gotthardtunnel – damit wir das selber nie tun müssen. Nun erzählen sie, was sie im dunklen Loch gemacht haben.
Zunächst einige dutzend Kilo Material hineingeschleppt: In ihren Rucksäcken hatten sie unter anderem 14 Gopro-Kameras und ein «Torpedo», vor Ort stand dann noch eine Lokomotive bereit – und ein Helikopter.
Es sind die technischen Zutaten für das 360°-Video, das die Fahrt durch den neuen Gotthard-Tunnel zeigt. Weil da auf 57 Kilometern Länge aber nicht wirklich viel passiert, haben sich die Macher bei Sedrun zusätzlich durch den 800 Meter hohen vertikalen Schacht (die sogenannte «Multifunktionsstelle») im Lift hochziehen lassen. Oben haben sie die «Fahrt» in einem Helikopter fortgesetzt, der genau über der Linie des Tunnels flog. Damit diese Aufnahmen «bombig» wurden, zogen sich die 360°-Filmer vorab in die Werkstatt zurück.
Helikopter mit Gopro-Bombe
Dort sind sie die Lösung des folgenden Problems angegangen: Normalerweise werden Panorama-Filme mit einem «Ball» aus mehreren Kameras gedreht. Der würde sich aber am Seil unter einem Helikopter bei 200 km/h drehen und zu zittern beginnen. Das 360°-Team auf die Idee, einen «Torpedo» zu bauen. «Das sieht aus wie eine Bombe oder positiver formuliert, wie ein Dartpfeil», sagt Tinet Gaudenz und erläutert dann die Vorteile des 200 Kilo schweren und 2 Meter langen Stahlrohres.
Der Luft-Torpedo liegt dank mehreren «Flügeln» stabil in der Luft und dient so als Aufhänge-Vorrichtung für die Kameras; 14 insgesamt, sieben vorne, sieben hinten. Sie filmten nach vorne resp. hinten und jeweils rundherum. Zusammengeschnitten sieht man im Video den Torpedo dann nicht mehr, die Software hat ihn «weggerechnet». Dasselbe Prinzip kam auch im Tunnel zum Einsatz: Hier konnte aber die Lokomotive den Part des Torpedos übernehmen, durch eine spezielle Vorrichtung konnten die Filmer die Kameras stabil befestigen, so dass keine Vibrationen der Fahrt übertragen wurden.
Technische Finessen sind das eine, der Inhalt das andere. 360°-Videos sind derzeit zwar beliebt – Sinn machen sie deswegen aber nicht überall.
360°-Videos sind ideal für unzugängliche Orte
Die grosse Herausforderung bei 360°-Videos liegt darin, dass der Regisseur die Zuschauer nicht führen kann, wie er es von einem Fernsehbeitrag gewohnt ist. «Man weiss nie, wo die Leute hinschauen», sagt Dominik Born. Er war schon 2013 mit dabei, als SRF zum ersten Mal einen Versuch mit einem Panorama-Video wagte – ein Wingsuit-Sprung aus der Eigernordwand.
Der Nutzer hat beim Zuschauen also maximale Bewegungsfreiheit. «Beim Gotthard-Video haben wir das Problem so zu lösen versucht, dass wir zuerst eine starke Geschichte entwickelt haben, eine Audiospur.
Diese Tonspur haben wir dann mit den bewegten Bildern versehen». Dadurch – so die Idee – könne man den Blick des Zuschauers während des rund siebenminütigen Videos dann doch wieder lenken; an einem Ort, an den er nie selber hinkommen wird, meint Born. Beim Stichwort «Ort» ergänzt Kollegin Sylke Gruhnwald, dass genau das die grosse Stärke von 360°-Videos sei. «Ich kann die Zuschauer an einen Ort hinbringen, wo sie hoffentlich nie hinkommen werden. Denn der einzige Moment, wo ich als Passagier dort hinkommen könnte, wären Notsituationen.»
Die gab's im Gotthard schon ein paar Mal. Neun Mal endeten sie tödlich. «Uns war wichtig, dass wir trotz der ganzen Volksfeststimmung auch Vorfälle gab, die traurig stimmen», sagt Sylke Gruhnwald. «Die meisten Texte handeln von 'neun Toten' – uns war wichtig, dass diese auch Namen bekommen und ihnen Raum gegeben wird».
Den haben sie nun, im 360°-Video. Finden muss der Zuschauer die Namen selber. Denn er ist hier und jetzt der Regisseur.
Making of: 360°-Fotos
Im Tunnel in der Multifunktionshaltestelle Faido entstehen die ersten 360°-Aufnahmen
Gleich geht es los: Das «Team Torpedo» wartet auf den Zug, der es durch den Gotthard-Basistunnel bringt
Angeführt von Mitarbeitern von Alptransit läuft das Team den Rettungsweg ab.
Über den vier Röhren des Gotthard-Basistunnels verlaufen Kabel und Lüftungsschächte
Kurze Verschnaufpause auf Treppenstufen: Im Tunnel liegt die Temperatur bei rund 30 Grad Celsius und erschwert die Arbeit der Mineure und Ingenieure entsprechend
Das Team bespricht die nächste Kameraeinstellung
Im Zugdepot der SBB in Zürich wird die Kameraaufhängung vor der Fahrt durch den Gotthard-Basistunnel getestet
Die Versorgungsbühne zwischen Sedrun und dem Gotthardbasistunnel bringt das Team in den Gotthardbasistunnel
Auf der Hebebühne wird die Kamera installiert