Der V8-Saugmotor meines BMW Z4 GT3 faucht und knurrt. Die 4.4 Liter entfalten ihre 500 PS, der dunkle Eifelwald in meinen Seitenfenstern verwischt. Das Lenkrad reisst an meinen Armen, ich spüre jeden Schlag, jede Rille, jede Kuppe der berüchtigten Nordschleife , furchteinflössend mit ihren 87 Kurven und 26 Kilometern.
Ich sitze eingeklemmt in einem engen Rennsitz, der Vierpunkt-Gurt hält mich fest. Ich trage Handschuhe. Ein Tropfen Schweiss läuft mir über die Wange.
Ja, es ist anstrengend, in einem Rennauto der GT3-Klasse über die legendärste Strecke des Motorsports zu rasen. Das ist schon ein bisschen überraschend, denn ich sitze natürlich nicht in einem echten Rennwagen, sondern in einer Wohnung in Rapperswil.
Vom Game zur Simulation
Eingeladen hat mich SRF-3-Hörer Michael Walser – oder besser gesagt: höflich herausgefordert: Statt nur in Autorenn-Spielen wie « Gran Turismo » zu fahren, solle ich doch mal den Schritt in eine Simulation wagen. Er empfiehlt mir, im Vorfeld ein paar Liegestützen zu machen.
Und so bin ich jetzt hier in der Wohnung von Michaels Kollegen Marco Spiller. Die beiden bilden mit einem dritten Fahrer ein Team: In einer virtuellen Liga fahren sie mit der Autorenn-Simulation «iRacing» Rennen in der Kategorie «GT Endurance». Diese Rennen finden auf Strecken wie Silverstone, Spa-Francorchamps, Monza, Bathurst oder Daytona statt und dauern sechs oder zwölf Stunden.
Die Strecken sind virtuell: mit Lasertechnologie bis auf den Millimeter genau nachgebildet, mit jedem Riss, jedem Spalt, unterschiedlichen Belägen und den Bäumen am Streckenrand – um sich die richtigen Bremspunkte merken zu können.
Langstrecken-Rennen
Doch die zwölf Stunden sind echt: Die drei Fahrer sitzen alle bei sich zu Hause in ihrem Cockpit. Sie sind online miteinander und den gegnerischen Teams verbunden, können miteinander sprechen und das Rennen verfolgen. Sie fahren den gleichen Wagen, wechseln sich also ab: Einer fährt ungefähr eine Stunde, bis der Tank leer ist. Dann kehrt er an die Box zurück und übergibt dem nächsten Fahrer im Team.
Für ein Zwölf-Stunden-Rennen geht also ein ganzer Sonntag drauf: Ab 8 Uhr eine Stunde freies Training, dann Qualifikation. Um 10 Uhr geht das Rennen los und zwölf Stunden später ist das virtuelle Auto hoffentlich heil im Ziel und auf einem vorderen Rang platziert.
Wenn einer einem Gegner ins Heck fährt und die Aufhängung verbiegt, muss das Team für den Rest des Rennens damit klarkommen. Die Autos mögen virtuell sein – aber der Druck, keine Fehler zu machen, sich über Stunden zu konzentrieren, ist echt.
Rund 50’000 Fahrer liefern sich in «iRacing» Rennen. Nicht alle dieser Rennen sind auf der Langstrecke – die meisten dauern rund eine halbe Stunde. Es gibt offizielle Ligen oder in separaten Communities organisierte Rennen. Und je nach Liga auch Lizenzen: Für die schnellen Autos muss man sich erst qualifizieren. Wer zu viele Unfälle verschuldet, kann die Lizenz auch wieder verlieren und in eine langsamere Rennserie verbannt werden.
Natürlich kann man mit einem handelsüblichen Plastik-Rennrad loslegen – so wie auch ich «Gran Turismo» fahre. Doch wer die Simulation ernst nimmt, ist damit bald nicht mehr zufrieden.
Cockpit-Eigenbau
Denn das Ziel ist es, so nahe wie möglich an die Realität zu kommen. Vor einem Resultat dieser Suche stehe ich jetzt. Rund 10’000 Franken stecken in dem Cockpit-Eigenbau. Drei Monitore nebeneinander stellen die Sicht aus dem Cockpit des BMW dar, nach vorn und auf die Seiten. Ein vierter Monitor darüber zeigt Abschnitts- und Rundenzeiten an.
Die Monitore sind an einem stabilen Alu-Rahmen befestigt, ebenso ein Rennsitz von Sparco – keine Nachbildung, sondern einer, den man auch in einen Rennwagen verbauen könnte. Der Vierpunkt-Gurt gehört der Vollständigkeit halber dazu – Safety First.
Unter den Monitoren sind die Pedale angebracht: Gas, Bremse und Kupplung. Ich behalte meine Schuhe an – die Anti-Rutsch-Beschichtung der Pedale sei nicht besonders freundlich zu Socken.
Rechts vom Sitz ist eine Konsole mit vielen Knöpfen montiert, dem Armaturenbrett eines Rennwagens nachempfunden. Darunter der Schalthebel, den ich aber ignoriere: Ich schalte mit Wippen am Lenkrad.
Das Lenkrad ist aus Karbon, mit Knöpfen und Schaltern übersät. Ich könnte hier die Bremsbalance verstellen oder einen Geschwindigkeitsbegrenzer aktivieren. Und aktiviere ich die Chat-Software «Teamspeak», kann ich über Boxenfunk mit den Kollegen sprechen. Unter dem BMW-Logo steht klein «GO FAST!» – für den Fall, dass wir kurz vergessen sollten, worum es hier geht.
Also los! Ich setze mich in den eng anliegenden Sitz und verstelle ihn so, dass meine Arme eng angewinkelt an das Lenkrad greifen. Ich sitze viel tiefer, als man sich das aus normalen Autos gewohnt ist: Die Pedale sind etwa auf gleicher Höhe wie mein Hintern. So mögen es Rennfahrer: Alles schön direkt und eng.
Marco steht hinter mir und lotst mich durch den Nürburgring, zuerst die Grand-Prix-Strecke, dann biegen wir auf die lange Nordschleife ein.
Marco kennt Motorsport auch in echt – er hat als Mechaniker in einem Team an 24-Stunden-Rennen auf der Nordschleife teilgenommen und dort getunte BMWs auch schon selber gefahren. Michael dagegen fuhr bis jetzt lediglich in Karts und einmal eine Runde in einem Aston Martin Vantage. Michael sagt, er interessiere sich neben «iRacing» nicht für Rennsport, schaue auch nie Rennen im TV. Eine Runde in einem echten GT3-Rennwagen würden beide natürlich trotzdem gerne drehen.
Dass sich die Kundenzeiten auf der virtuellen Strecke aber in die Realität übertragen liessen, glaubt Michael nicht: Bei echter Angst um Material und Leben fahre man bestimmt nicht gleich am Limit wie in der Simulation.
Lenken und Bremsen: schweisstreibend
Dass es sich hier nicht um ein Spiel, sondern um Sport handelt, merke ich aber schon nach wenigen Kurven. Der eindrückliche Servo-Motor hinter dem Lenkrad übt eine Kraft aus, die ich nicht erwartet hätte. Die Lenkung eines Rennwagens soll so direkt wie möglich sein – diesen Widerstand simuliert der Motor mit aller Gewalt. Schon die erste Haarnadel nach der Start-Ziel-Geraden ist ein Kraftakt: Ich muss mich richtig anstrengen, den Rennwagen ausreichend einzulenken.
Als ich dann den glatten Belag der Grand-Prix-Strecke verlasse und über die holprige Nordschleife rase, springt und reisst das Lenkrad wie ein ungezähmter Mustang. Ich klammere mich mit beiden Händen fest, um auf der Strecke zu bleiben. Mir ist jetzt klar, warum mir die beiden nahegelegt haben, Handschuhe anzuziehen.
Noch überraschender ist das Bremspedal. Pedale, die ich aus echten Autos oder Rennspielen gewohnt bin, reagieren immer auf Weg – je mehr ich sie durchdrücke, desto mehr bremst es. In Rennwagen und folglich der Simulation ist das nicht so: Hier bremst es mehr, wenn ich mit mehr Kraft auf das Pedal drücke. Für eine Vollbremsung muss ich 60 Kilogram Gewicht auf das Pedal bringen. Oder anders formuliert: draufstehen wie ein Esel.
Eine Kurve gefühlvoll anzubremsen wäre die halbe Miete. Doch dieses Gefühl muss ich erst trainieren. Entweder bremse ich viel zu wenig – oder aus Vorsicht viel zu stark. Marco hinter mir kommentiert höhnisch, er hätte den Bremsplatten (wenn bei einer Vollbremsung ein Reifen so stark abgerieben wird, dass danach das Rad nicht mehr rund ist und holpert) in der Simulation vorsorglich ausgeschaltet.
In der zweiten Runde auf dem Nürburgring beginne ich zu schwitzen. In der dritten perlen erste Tropfen über das Gesicht. Bei Games ist ja der Übergang zum Sport fliessend – was die einen als Hobby sehen, betreiben andere mit Training und Wettkämpfen wie einen Sport. Doch abgesehen von Anstrengung durch Konzentration fehlt in der Regel ein klarer körperlicher Aspekt. Hier ist das anders: Fahren im Renn-Simulator ist körperlich anstrengend.
Einsteigen? Links!
Nach ein paar eher vorsichtigen Runden werde ich sicherer und erwische einige Kurven richtig gut. Von hinten kommen anerkennende Bemerkungen. Was mich stolz macht, denn ich hatte erwartet, mich laufend von der Strecke zu drehen.
Dass das nicht passiert, hängt nicht nur damit zusammen, dass ich schon viele Stunden in Rennspielen verbracht habe und sich dieses Training offenbar auch auf den Simulator übertragen lässt. Es hat auch damit zu tun, dass ich mich direkt mit dem Auto und der Strecke verbunden fühle. Ich spüre, wenn es holpert oder rutscht, wie gut meine Reifen greifen. Und weil Lenkrad und Bremse so viel Kraft benötigen, ist es gar nicht möglich, mit überhasteten, übertrieben grossen Bewegungen das Auto zu verlieren.
So steige ich etwas wehmütig aus dem Sitz. Für mich als Gelegenheitsfahrer ist ein solches Cockpit bezüglich Geld und Zeit ausserhalb der Reichweite. Doch das Gefühl im virtuellen Auto ist so grossartig, dass ich auch Tage später noch den Drang spüre, zurück in den Z4 zu steigen und den Rhythmus der Nordschleife zu finden.
Ausserdem habe ich Muskelkater in den Oberarmen. Das mit den Liegestützen hätte ich wohl ernster nehmen sollen.