Als im Februar das Surface RT auf den Schweizer Markt kam, waren wir nicht begeistert. Microsofts Tablet auf der Grundlage von Windows RT war uns zu eingeschränkt für Geschäftsanwendungen und etwas zu komplex für Privatkunden. Wir stellten insbesondere die Frage, ob man nicht besser das Surface Pro abwarten sollte.
Nun ist es da. Es ist der erste vollwertige PC aus dem Hause Microsoft und das Gerät, das wie kein anderes den Kern der Philosophie von Windows 8 repräsentiert. Das Surface Pro läuft mit einem vollwertigen Windows 8 – wir können jedes Programm installieren, das unter Windows läuft und sind weder an den App-Store von Microsoft noch die Kacheln der Metro-Oberfläche gebunden. Gleichzeitig ermöglicht uns aber eben diese Oberfläche und der Touchscreen, das Gerät wie ein Tablet zu benutzen. Damit setzt das Surface Pro zu einem noch breiteren Spagat an als das Surface RT – und sieht dabei trotzdem ziemlich gut aus.
Die Hardware: Mehr von allem
Während sich das Surface Pro auf den ersten Blick kaum vom Surface RT unterscheidet, ist unter der Haube fast alles besser. Der Bildschirm hat nun eine Full-HD-Auflösung; da er gleich gross ist wie der des RT, ergibt das mehr Bildpunkte pro Fläche und damit ein deutlich schärferes Bild – 208 ppi – das ist mehr als beim Galaxy Tab und etwas weniger als bei einem aktuellen iPad. Besonders Schriften sind wunderbar glatt. Von vorn ist der Bildschirm schön anzusehen, auch wenn er für meinen Geschmack etwas zu stark spiegelt. Schaut man von der Seite, verliert der Bildschirm zwar deutlich an Helligkeit, was bei einem Tablet allerdings weniger ins Gewicht fällt.
Der USB-Port ist 3.0 statt 2.0 wie beim RT; der Micro-SD-Kartenslot ist leichter zugänglich an der Seite statt hinter dem Klappfuss angebracht; über einen Mini-DisplayPort (statt Mini-HDMI) kann ein externer Bildschirm oder Projektor angeschlossen werden.
Wir können den Touchscreen nicht nur per Finger, sondern auch mit einem Stift bedienen – eine Option, die mir gefiel. Das Display merkt, wenn der Stift sich nähert und schaltet dann Multi-Touch automatisch aus. Das bedeutet, dass wir beim Zeichnen die Hand auf das Display abstützen können, ohne ungewollt etwas zu drücken. Der Stift ist druckempfindlich, Striche werden dicker, wenn wir mehr drücken. Die Office-Programme unterstützen den Stift – so können wir zum Beispiel auf Powerpoint-Folien malen oder eine Textpassage in Word per Leuchtstift markieren. Der Stift eignet sich auch als Maus-Ersatz: um die gewöhnlichen Windows-Bedienelemente, die oft zu klein für die Finger sind, präzise bedienen zu können. Der Stift ist manchmal etwas fummelig und reagiert nicht so, wie ich wollte; auch das Aktivieren der Funktion ist je nach Kontext ein paar Klicks zu gut versteckt – trotzdem kann die Möglichkeit, schnell etwas zu skizzieren, willkommen sein.
Auch Speicher gibt es mehr: Statt mit 32 oder 64 gibt es das Surface mit 64 oder 128 GB Flash-Speicher. Da wird man sinnvollerweise die 128er-Variante wählen: Denn das 64er-Modell ist nur 100 Franken günstiger und wohl hauptsächlich da, um das 128er wie ein Schnäppchen aussehen zu lassen. Ausserdem belegen Windows- und Office-Installation fast 40 GB.
Und schliesslich rechnet das Surface Pro schneller: Statt einem ARM-Prozessor steckt hier ein Core i5 von Intel drin. Im Gegensatz zum RT wechselt man deshalb zackig und flüssig zwischen Programmen hin und her. Ich habe auch ein Spiel installiert (Dishonored); das lief natürlich nicht auf den Maximal-Einstellungen wie auf einem ausgewachsenen Game-PC und mit deutlich hörbarem Lüfter, aber sonst einwandfrei. Erstaunlich für ein so schlankes Gerät.
Diese zusätzliche Leistung hat ihren Preis – auch Microsoft kann nicht zaubern. Das Surface Pro ist deutlich dicker und schwerer als das RT. Und der Akku ist schneller leer, obwohl er mehr Kapazität hat als jener des RT. Nach drei, vier Stunden muss man eine Steckdose suchen.
Trotzdem: Wir bezahlen etwa 300 Franken mehr und erhalten dafür einen besseren Bildschirm, ein Windows ohne Einschränkungen, mehr Prozessor-Leistung und einen Stift. Das scheint mir ein guter Deal zu sein.
Netbook, nicht Tablet
Allerdings nur wenn man das Surface Pro nicht als Tablet ansieht. Denn dafür ist es zu schwer – nur Leute mit sehr starken Unterarmen können damit stundenlang auf der Couch lesen wollen. Und vom Akku eines Tablets erwartet man in der Regel mehr: am Ende des Tages aufladen ist ok, aber nicht schon nach ein paar Stunden.
Betrachtet man das Surface Pro dafür als Netbook, dann schneidet es im Vergleich gut ab. Hersteller wie HP, Dell, Lenovo, Acer, Toshiba und andere haben auch leichte Notebooks mit Touchscreens im Angebot; die sind aber mehrheitlich schwerer, dicker und auch bezüglich Formfaktor nicht mehr in der Nähe eines Tablets. Da das Surface Pro in dieser Klasse sogar eher im unteren Bereich der Preisspanne liegt, beeindruckt es nicht nur technisch.
Fixer Winkel, Windows-8-Marotten
Das Tablet-Design mit einer dünnen Tastatur im Schutzcover (weil wir das Touch Cover beim Surface RT nicht mochten, haben wir beim Pro nun das Type Cover mit echten Tasten benutzt) hat allerdings wie schon beim RT unverändert zwei grundsätzliche Nachteile: Der Ständer und damit der Winkel des Bildschirms ist nicht verstellbar. Und auf den Knien kann man das Gerät nur über den Touchscreen, nicht mit der Tastatur bedienen, weil es nicht stabil genug ist. Das schliesst die Nutzung der Tastatur auf der Couch oder für Pendler ohne Sitzplatz am Tischchen aus. Das wären aber genau die Orte, an denen ich ein Netbook nutzen wollen würde.
Wer sich bereits an ein Tablet mit iOS oder Android gewöhnt hat, wird zudem beim Umstieg auf Windows 8 einige Hürden überspringen müssen. Es gibt einige Kleinigkeiten, die unausgereift wirken. So kann man zum Beispiel Apps auf dem Homescreen gruppieren und die Gruppe dann benennen (z.B. «Office» oder «Spiele»). Wenn man so einen Titel verändern möchte ohne angeschlossene Tastatur, fährt die virtuelle Tastatur über das Feld mit dem Namen hoch und verdeckt es, so dass wir blind tippen müssen. Und hat man eine Gruppe mit vier Spalten erstellt, wird man die automatische Anordnung nie mehr dazu bringen, sich nach dem Entfernen einer App auf drei Spalten zu reduzieren – sie versucht zwanghaft, sich auf vier Spalten auszubreiten (siehe Skizze hier links oben). Ja, das sind Details – aber jede dieser Irritationen mindert den Wert der Metro-Oberfläche, die ja genau eine Stärke von Windows 8 sein soll.
Business, Baby!
Der wichtigste Trumpf des Surface Pro ist ohne Zweifel nicht Metro, sondern das vollumfängliche Windows 8. Es macht das Gerät attraktiv für jene, die es im Geschäftsumfeld benutzen wollen. Dort haben sich Tablets in letzter Zeit stark verbreitet – als Mailmaschine, oder als modernes Gerät, das die Aktentasche voller Papierbroschüren ersetzt.
Doch den IT-Verantwortlichen der Unternehmen machen die Tablets Bauchweh. Sie lassen sich nur grob ins Netzwerk einbinden und vor allem nicht streng genug absichern. Das Tablet beim Aussendienstler muss deshalb immer als potentiell gefährdet betrachtet werden, was zum Beispiel das Arbeiten mit Kundendaten verbietet.
Auf diesen Markt zielt Microsoft ab: Weil auf dem Surface Pro einfach Windows 8 läuft, können es die IT-Manager besser in ihre Microsoft-Umgebung integrieren. Und mit einem Office drauf können Mitarbeiter auf dem Tablet gleich weiterarbeiten wie auf einem Büro-PC.
Ohnehin kann ich mir gut vorstellen, wie der Handelsreisende auf dem Surface Pro beim Kunden eine Powerpoint-Präsentation vorführt; am Ende auf einer leeren Folie mit Hilfe des Stiftes als White-Board-Ersatz einige Diskussionspunkte skizziert und festhält; und die so erweiterte Präsentation per Mail gleich an die Teilnehmer verschickt – statt ein Stück Papier abzufotografieren und die grauen, nicht editierbaren Fotos zu verteilen.
Dafür hätte er bis jetzt deutlich klobigere Geräte und Papier benötigt. Als Business-Gerät für Handelsreisende ist das Surface Pro deswegen sicher attraktiv.
Spagat mit Schlagseite
Deshalb gelingt der Kompromiss zwischen Tablet und Notebook fast: Während das Surface RT ein Tablet mit Nachteilen bleibt, ist das Surface Pro eher ein Notebook mit Vorteilen. Wir können Windows im vollen Umfang nutzen, auf einem kleinen, leichten Gerät mit scharfem Bildschirm und Touch. Spürbar bleibt der Kompromiss nur in der kurzen Akku-Laufzeit und dem zusätzlichen Gewicht gegenüber einem reinen Tablet.
Nun denn: Würde ich privat ein Surface Pro kaufen? Nein. Ich muss mich nicht auf ein Gerät beschränken und kann deshalb dem Kompromiss ausweichen – mit zwei Geräten, einem echten Tablet und einem leistungsfähigen Notebook (und bezahle dafür natürlich viel mehr).
Würde ich aber ein Pro dem RT vorziehen? Ohne Frage.
Und würde ich als Handelsreisender lieber so ein Surface Pro als ein dickes Notebook mit zu den Kunden nehmen? Aber sowas von.