1995 war das Jahr, als das Internet sich anschickte, zum Massenphänomen zu werden. Der Finanzspezialist Jimmy Wales arbeitete damals als Händler. Er war fasziniert vom neuen Medium World Wide Web und wunderte sich, warum seine gestressten Arbeitskollegen ihr Mittagessen immer noch per Telefon oder Fax bestellten.
Das brachte ihn auf einen genialen Einfall: eine Webseite, die Bestellungen von hungrigen Kunden an Restaurants in der Umgebung weiterleitet. Jimmy Wales war Feuer und Flamme für seine Geschäftsidee und gründete eine Firma. Das Resultat: der erste Rohrkrepierer. Die Restaurant-Besitzer hatten keine Ahnung, was das Internet war und schauten den frischgebackenen Unternehmer an, wie wenn er vom Mars käme.
Scheitern ist normal
Es war der Anfang einer ganzen Serie von Fehlschlägen. Wie und warum er in seinem Leben scheiterte, erzählte der Wikipedia-Gründer genüsslich in einem Vortrag vor Studierenden an der Universität Maastricht anlässlich der Verleihung des Ehrendoktors im Januar 2015.
Die Aufzählung ist ziemlich lang: Mit der Suchmaschine Three Apes scheiterte er an chinesischen Spammern. Mit Nupedia, dem Vorgänger von Wikipedia, machten ihm die hohen Ansprüche an die Autoren einen Strich durch die Rechnung. 2007 versuchte er sich mit Wikia Search wieder an einer Suchmaschine – und stolperte über die Bankenkrise.
Scheitern als Voraussetzung für den Erfolg
Natürlich hatte Jimmy Wales auch Erfolg: Vor 15 Jahren lancierte er Wikipedia. 2006 zählte die Enzyklopädie zu einer der fünf bekanntesten Marken zusammen mit Grössen wie Google oder Apple.
Dass er zuvor scheiterte, ist für ihn eine der Voraussetzungen für den Erfolg. Ein Grund: Aus den Fehlern, die er bei Nupedia gemacht hatte, hat er gelernt. So ist schliesslich die Idee zu Wikipedia entstanden – für ihn ein normaler Prozess, den die meisten Unternehmer durchlaufen. Mark Zuckerberg sei mit Facebook eine grosse Ausnahme. Eine gute Idee, die hervorragend umgesetzt sofort zum Grosserfolg führt, sei nicht die Regel, meint der erfahrene Unternehmer zu den jungen Studierenden.
«Fail fast!»
Er empfiehlt seinem Publikum sogar, möglichst schnell zu scheitern. Statt sich in die eigene Geschäftsidee zu verlieben, sollte ein Unternehmer schon in einem frühen Stadium den Markt testen – und dann sofort wieder loslassen, wenn die Fantasie nicht mit der Realität übereinstimmt.
Genau das tut Jimmy Wales auch heute noch, denn der Unternehmer ist seit seinem Grosserfolg mit Wikipedia nicht stehengeblieben: 2004 lancierte er erfolgreich Wikia, eine Ergänzung zu Wikipedia. Im vergangenen Jahr gründete er in London The People's Operator, einen Mobilfunkanbieter.
Die Idee dahinter: Das neue Unternehmen bezahlt 10 Prozent der Telefongebühren an eine Wohltätigkeitsorganisation, die der Kunde selbst bestimmen kann. Zudem spendet die Telefongesellschaft 25 Prozent des Jahresgewinnes für einen guten Zweck – und das alles, ohne dass die Kunden mehr bezahlen müssen als bei der Konkurrenz. Möglich ist das, weil der neue Mobilfunkanbieter auf jegliches Marketing verzichtet. Im Internet-Zeitalter sei klassische Werbung überflüssig, ist der Unternehmer überzeugt. Im Zeitalter der sozialen Netzwerke reicht Mund-zu-Mund-Propaganda, um eine neue Idee zu verbreiten.
Ob das gelingen wird, weiss Jimmy Wales auch diesmal nicht: «Ich bin begeistert, aber das ist man als Unternehmer immer. In fünf Jahren kann ich Ihnen dann sagen, ob es eine gute Idee war – oder ob Jimmy einmal mehr gescheitert ist.» Dass man das ständige Scheitern aushält, dafür müsse eine Voraussetzung erfüllt sein: Freude an der Arbeit.