Irgendwann waren nicht einmal mehr Lara Crofts Brüste gross genug, um «Tomb Raider» noch relevant zu halten. Während die ersten drei Teile zu den bestverkauften Playstation-Games ihrer Zeit gehörten, brachen die Verkäufe bei den fünf folgenden ein. Die Frau, die Stoff für zwei Kinofilme lieferte, taugte nur mehr als Anschauungsbeispiel für Genderfragen .
Der Computer macht's
«Zeit für einen Neustart!» sagen sich Marketingfachleute in so einer Situation und – es sei vorweggenommen – bei «Tomb Raider» ist er geglückt. Aber das neue Game zeigt auch deutlich, wie sehr sich das Genre der Action-Adventures in den letzten Jahren gewandelt hat . Kontrollierten wir in den ersten «Tomb Raider»-Titeln noch so gut wie jede Bewegung der Spielfigur, übernimmt beim neuen «Tomb Raider» der Computer einen grossen Teil der Steuerung.
Zumindest in der ersten Stunde des Spiels beschränkt sich unser Handeln grösstenteils darauf, im richtigen Moment den richtigen Knopf zu drücken. Das geht so weit, dass ich mich einmal sehr darüber freute, wie grazil und mühelos ich über einen Baumstamm balancierte – nur um später zu merken, dass es der Computer war, der diese Hürde für mich gemeistert hatte. (Zu meiner Verteidigung: «Tomb Raiders» Grafik ist so gut, dass sich die Spielszenen kaum von den Zwischensequenzen unterscheiden lassen!)
Allen Grund zur Panik
Nun heisst das alles nicht, dass «Tomb Raider» ein schlechtes Game wäre – im Gegenteil: Dass wir zu Beginn kaum eine Ruhepause haben, dass uns der Computer ständig befiehlt, hier noch etwas aufzusammeln und dort noch einen Hirsch zu töten, dass wir mit Aufgaben und Prüfungen geradezu bombardiert werden, das schafft eine Hektik und Panik, die der Situation der Spielfigur wohl sehr nahe kommt.
Denn Lara Croft ist gestrandet auf einer Insel weit vor Japans Küste, auf der Suche nach einer mystischen Sonnenkönigin. Um das Eiland herum toben Stürme, die ein Entkommen unmöglich machen. Und als ob das nicht schon genug wäre, wüten auf der Insel auch noch kriminelle Schiffbrüchige, Kult-Anhänger und allerlei übernatürliche Phänomene – kennt man ja . Jedenfalls: Lara Croft hat viele Feinde, wenig Schutz und allen Grund zur Panik.
Mehr schiessen, weniger knobeln
Das neue «Tomb Raider» unterscheidet sich nicht nur beim Spielprinzip von seinen Vorgängern, auch die Spielfigur ist nicht mehr dieselbe: Statt Lara Croft als blosse Projektionsfläche für Bubenfantasien zu gebrauchen, nimmt sie das Game – ein Prequel übrigens –als Figur ernst und zeigt ihren Weg von der grossäugigen Junior-Archäologin zur Abenteurerin mit Pfeilbogen und Schusswaffe. Diese Entwicklung der Heldin gelingt überraschend gut, trotz einiger gametypischer Klischees und Plattitüden.
Apropos Pfeilbogen und Schusswaffe: Beides kommt im Spiel grosszügig zum Einsatz. Stellenweise ähnelt «Tomb Raider» eher einem Cover-Shooter als dem von Hüpfen und Rätsellösen geprägten früheren Teilen. Puzzles lösen zum Tempel-Plündern – welchen Stein muss ich verschieben, um den schmalen Gang freizugeben an dessen Ende sich eine gut Gesicherte Tür befindet, hinter der das [hier beliebigen Namen eines mystischen Artefaktes einsetzen] liegt? – spielen bei «Tomb Raider» nur noch eine nebensächliche Rolle.
Adrenalinrausch statt Gesamtkunstwerk
Wer will, kann sich an solche die Rätsel wagen, um mehr Erfahrungspunkte oder Ausrüstungsgegenstände zu sammeln. Zum Vollenden des Games sind diese Aufgaben aber nicht nötig. Das hat den Vorteil, dass wir nicht mehr stundenlang blockiert sind, bis wir endlich die Lösung eines Puzzles gefunden (sprich: im Internet danach gegoogelt) haben.
Das hat den Nachteil, dass die ganz grossen Momente fehlen. Also die, wenn sich die gut gesicherte Tür am Ende des schmalen Gangs endlich öffnet und die Schatzkammer freigibt. Und das ist etwas vom Wenigen, das mir am neuen «Tomb Raider» nicht gefällt: Wo die ersten Teile in ihren besten Momenten zu einer Art Gesamtkunstwerk wurden – wo sich Grafik, Soundtrack, Geräusche und Controller-Bewegungen zu einem fast schon andächtigen Ganzen verbanden – da bleibt in «Tomb Raider» nur ein Game gewordener Adrenalinrausch, der einen atemlos durchs Geschehen treibt.
Naja, auch nicht schlecht.