Es begann mit einem Scherz: Im Januar dieses Jahres entwickelte Armin Ibrisagic vom schwedischen Game-Studio Coffee Stain in einem studiointernen Game Jam den Prototypen des «Goat Simulators». Er war gedacht als Referenz an alte Skate-Spiele, bloss dass man statt mit dem Skateboard als Ziege unterwegs ist und statt Tricks in der Halfpipe lieber Sachen kaputt macht. Ibrisagic hatte nicht im Sinn, das Resultat je als richtiges Game zu veröffentlichen. Ihm genügte der «Goat Simulator» als Parodie auf all die anderen Simulations-Games, die uns Lastwagen, Landmaschinen oder Putzautos fahren lassen.
Eine der besten Ziegen-Simulationen, die ich in diesem Jahr gespielt habe.
Kurz darauf lud Coffee Stain ein Video des unfertigen Ziegen-Simulators in seinen YouTube-Kanal – und innert zwei Tagen schauten es sich eine Million Menschen an. Das Internet hatte gesprochen. Und es sagte mit lauter Stimme: «Wir wollen einen echten Ziegen-Simulator, und zwar sofort!»
Mit den Hörnern rammen, mit der Zunge schlecken
Drei Monate später ist der «Goat Simulator» Wirklichkeit geworden: als Open-World-Game, dessen Welt allerdings so klein ist, dass wir sie nach wenigen Stunden schon komplett durchwandert haben.
Aber diese wenigen Stunden haben es in sich: Unsere Ziege zerstört alles, was ihr in den Weg kommt – vornehmlich indem sie ihren gehörnten Kopf dagegen stösst. So bringen wir geparkte Autos zum Explodieren, lassen Tankstellen in die Luft fliegen und machen die Inneneinrichtung schmucker Vorstadthäuschen zu Kleinholz.
Und was sich nicht durch Rammen kaputt machen lässt, können wir oft mit unserer langen Ziegenzunge mitschleppen. Einfach dran lecken, und schon haften kiloschwere Gegenstände wie eine Schweissausrüstung am Geschmacksorgan unserer Ziege. Auch möglich: Ein kurzer Schlecker an einem vorbeifahrenden Auto oder Lastwagen und schon werden wir selbst in bester Slapstick-Manier mitgeschleift.
Satans-Ziegen und Giraffen
Dazu läuft ein absurdes Belohnungssystem, das unsere Zerstörungsorgie mit Punkten belohnt. Beispiel gefällig? Lässt unsere Ziege ein harmloses Picknick zum Inferno werden, indem sie Partygäste in den Grill schubst und in Flammen aufgehen lässt, schenkt der «Goat Simulator» uns den Party-Crasher-Bonus. Punkte gibt es auch für die Zerstörung von Kulturgütern wie Goathenge (ja, Stonehenge, einfach für Ziegen) oder für möglichst hohe Luftsprünge, etwa auf einem der unzähligen Mini-Trampoline, die in keinem Garten dieser Vorstadt-Welt zu fehlen scheinen.
Einige Spielplätze müssen wir erst selbst entdecken. Etwa das Pentagramm in den Hügeln am Stadtrand, das uns zur Satans-Ziege macht, nachdem wir ihm fünf Menschen opfern (sprich: sie mit der Ziegenzunge hinschleppen). Für weitere Modifikationen der Spielfigur können wir in der Spielwelt verteilte goldene Götzenbilder sammeln, die uns etwa einen Jetpack schenken oder aus der gewöhnlichen Ziege eine «Tall Goat» machen – was im Endeffekt nichts anderes als eine Giraffe ist.
Und es gibt versteckte Features wie das Schloss, in dem wir zum König aller Ziegen werden oder Minigames wie «Flappy Goat», das wir im Haus von Coffee Stain finden, das in der Spielwelt ebenfalls seinen Platz hat.
Fehler ist King
Dabei strotzt das Spiel vor offensichtlichen Fehlern: Unsere Ziege bleibt mit dem Kopf in Bücherregalen oder Wänden stecken, so dass nur noch ihr Körper vom Hals abwärts zu sehen ist. Sie läuft Leitern nicht wie jede normale Ziege mit den Beinen hoch, sondern schleckt sich mit der Zunge nach oben. Auch die Physik des Spiels ist haarsträubend: Passanten, die wir vor Autos werfen, verrenken ihre Glieder in unmöglichem Winkel und Hälse werden gestreckt als wären sie aus Gummi.
Coffee Stain hat diese Unstimmigkeiten mit Absicht im Game gelassen, als ob dort nicht schon genug Absurdes zu sehen wäre. Doch statt zu stören machen die Fehler das Spielen noch einmal lustiger und unberechenbarer. Coffee Stain zieht so den Vorhang zurück und lässt uns hinter die Kulissen des Games blicken – wir werden zu Komplizen der Spielemacher, können uns mit ihnen zusammen über das Unfertige freuen und die unerwartete Komik, die damit möglich wird. Das passt gut zu einem Game, das sich selbst in keiner Sekunde besonders ernst nimmt.
Müssen «gute Games» lange dauern?
Wie jeder Witz hat auch «Goat Simulator» keine lange Halbwertszeit. Schnelle Spieler haben in etwas mehr als einer Stunde wohl die meisten Attraktionen gesehen und nach drei, vier Stunden auch das letzte versteckte Feature gefunden. Selbst die Entwickler warnen vor dem Kauf des Games und schlagen vor, dass wir unser Geld doch in etwas Sinnvolleres wie einen Hula-Hoop-Reifen investieren sollen, oder in eine echte Ziege.
Goat Simulator is a completely stupid game and, to be honest, you should probably spend your money on something else, such as a hula hoop, a pile of bricks, or maybe pool your money together with your friends and buy a real goat.
Tatsächlich gibt es Leute, die den Witz nicht lustig finden – oder nicht lustig genug, um für den kurzen Spass 10 Franken auszugeben. Aber muss ein Spiel tatsächlich 20, 30 oder noch mehr Stunden Unterhaltung bieten, um ein «gutes Game» zu sein? Genügt nicht auch eine Stunde, wenn die dafür beste Unterhaltung bietet?
Als Ziege nach Abu Simbel
Sowieso ist aus dem «Goat Simulator» schnell mehr als nur ein Game geworden. Dank irrwitziger Kunden-Reviews, dank Screenshots und animierter GIFs der lustigsten Fehler und dank unzähliger Videos bei YouTube und Twitch entstand eine Art Meta-Kommentar zum Game, bei dem die Spieler und ihre Erlebnisse im Mittelpunkt stehen.
Und weil «Goat Simulator» über die Steam-Plattform vertrieben wird, können im Steam Workshop Erweiterungen heruntergeladen werden, von den Spielern selbst erstellte zusätzliche Game-Inhalte. Dort findet sich etwa die Erweiterung «Alien Goat», die fliegende Untertassen in die Vorstadt-Welt der Ziege holt. Oder «Abu Goat», die uns den Tempel von Abu Simbel besuchen lässt – als Ziege, versteht sich.
Ein Spiel, das dank dem Willen der Leute im Internet überhaupt erst Wirklichkeit wurde, wächst jetzt dank den Erweiterungen von Leuten im Internet noch weiter. Schön, wie sich hier der Kreis schliesst.
«Goat Simulator» gibt es für PC und kann über die Steam-Plattorm heruntergeladen werden. Das Game ist für alle Altersklassen freigegeben.