Vor gut einem Jahr waren wir euphorisch und testeten die Twint-App an gut einem Dutzend Coop-Kassen. Das Bezahlen funktionierte – meistens, abgesehen von ein paar Kinderkrankheiten. Wir waren verwirrt und so kamen wir zum Schluss: «Bezahlen mit dem Handy: einfach eine komplizierte Geschichte».
Heute sind wir nicht mehr ganz so euphorisch und gleichzeitig verwirrter den je zuvor: Seit dem «Relaunch» im April hat das Logo von Twint geändert. Und statt einer Twint-App gibt es plötzlich Dutzende.
Der Grund: Seit April gibt es eine neue Version von Twint. Es ist eine Kombination des ehemaligen Twint von Postfinance mit Paymit, dem ehemaligen Handy-Bezahlsystem einiger Banken. Die Schweizer Finanzgrössen treten seit einigen Monaten also mit einer einheitlichen Lösung an, einer technischen Fusion aus Twint und Paymit, dies auch, um ausländischen Payment-Anbietern wie Apple, Google oder Samsung besser die Stirn bieten zu können.
Klassisches Banken-Geschäftsmodell – jetzt eben auf Twint
Die Banken haben dem neuen Twint ihren Stempel aufgedrückt. Wenn Twint heute Kritik einstecken muss, liegt das auch am Erbe von Paymit. Es ist ein Erbe in Form eines klassischen Bankengeschäftsmodells.
Das bedeutet, dass die Kunden bei ihrer Bank bleiben sollen und somit auch die Twint-App ihrer jeweiligen Bank installieren müssen. Schliesslich sind auch heutige EC-Karten an die jeweilige Bank gebunden.
Der Wunsch ist verständlich, aber aus Kundensicht wirkt es wenig innovativ, ein altes Bezahl-Geschäftsmodell wie das der EC-Karte aufs Handy zu übertragen. Wozu denn mit Twint bezahlen, wenn ich die EC-Karte nehmen kann?
«Hesch mer en Stutz?»
Nicht alle Kunden sähen dies so, meint Michael Hügli, Marketing-Manager bei Twint. Immerhin seien bis heute rund 375'000 Benutzer bei einer Twint-App registriert. Täglich kommen 2'500 neue dazu. Die machen vor allem eines: Geld von ihrer Twint-App auf eine andere Twint-App überweisen, also jemandem eine digitale Münze oder Note zustecken. 41 Prozent der 270'000 Bezahlvorgänge via Twint machten im Juni diese Transaktionen aus. Diese Funktion von Twint scheint einem grossen Bedürfnis zu entsprechen.
Aber es ist ein Erfolg mit einem Wehmutstropfen: An diesen Privat-zu-Privat-Transaktionen verdient keiner der Twint-Anbieter auch nur einen Rappen. Immerhin ist es aber ein gutes Markteing-Instrument, das Smartphone-Benutzer dazu motivieren kann, eine Twint-App zu installieren.
Ziel aller Bezahlsysteme ist es allerdings an unseren Transaktionen Geld zu verdienen. Das geschieht nur, wenn wir über Twint etwas in einem Geschäft kaufen. Immerhin im E-Commerce scheint sich Twint ein wenig zu etablieren: So sollen nach Angabe von Digitec derzeit vier von hundert Kunden im Online-Shop mit Twint bezahlen.
Migros will noch nicht
In den physischen Geschäften des Digitec-Besitzers, der Migros, muss Twint allerdings noch aussen vor bleiben. Der Grossverteiler hatte ursprünglich geplant, bis Ende 2016 alle Kassen mit Twint auszurüsten. Wegen des Zusammenschlusses mit Paymit und damit verbundenen technischen Änderungen konnte Migros diesen Termin aber nicht einhalten und prüft nun zusammen mit Twint die Art und Weise der Einführung.
Wer will, kann aber dennoch schon heute auch an den Migros-Kassen mit dem Handy bezahlen ganz ohne eine Twint-App. Zum Beispiel, in dem er in der Postfinance-App seine Postfinance-Karte als Standard-Zahlungsmittel hinterlegt. Dann genügt es, statt der Karte das Handy an das klassische Kartenlesegerät zu halten – und schon ist der Betrag bezahlt. Wir haben es in der SRF-Kantine getestet: Es funktioniert – allerdings nur mit einem Android-Handy.
Kontrolle als Innovationskiller
Alles viel zu kompliziert? Ja. Aber wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass noch vor 200 Jahren jede Stadt ihre eigenen Münzen besass und viele davon gefälscht waren. Im Vergleich dazu leben wir heute in einem Zahlungsmittel-Schlaraffenland. Ob dieses durch die neuen Smartphone-Bezahlmöglichkeiten «schlaraffiger» wird, ist derzeit aber fraglich – setzen die neuen Lösungen doch auf Kontrolle durch jedes angeschlossene Finanzinstitut und herkömmliche Geschäftsmodelle, bei denen jeder auf seine eigene Münze in Form einer App setzt, anstatt auf revolutionäre Innovation.