Gerade haben wir in der Redaktion «Virtual Reality» zum Wort des Jahres nominiert. Den Entscheid fällten wir in wenigen Sekunden, schliesslich hat uns kein anderes Thema in diesem Jahr derart bewegt.
Während der letzten Monate sind immer wieder Modelle in unserer Redaktion eingetrudelt. Nun ist es höchste Zeit – kurz vor dem Weihnachtsgeschäft – weiterzugeben, was wir gelernt haben.
First Things First
- VR-Spiele machen nur dann Sinn, wenn ich mich durch das Spiel bewegen kann. Online Poker beispielsweise spiele ich genauso lieber an einem normalen Bildschirm wie ein Brettspiel.
- Die virtuelle Realität ist endlos, das Wohnzimmer nicht: Darum funktionieren zurzeit vor allem solche Spiele gut, in denen ich in einem Cockpit sitze und mich nicht bewegen muss.
- Killer Apps fehlen: Noch lässt kein Spiel Gamer Herzen lang anhaltend höher schlagen. Doch das ist nur noch eine Frage der Zeit (siehe ganz unten).
- Wer nicht spielen will, soll sehen. Demos, in denen man passiv durch eine virtuelle Welt geführt wird, gibt es mehr als genug.
- Virtual Reality Sickness: Das ist die ganz grosse Herausforderung für die virtuelle Realität. Wegen widersprüchlichen Signalen versucht unser Hirn, wahrgenommene Eindrücke auszugleichen, die gar nicht existieren.
- Virtual Reality kann sich jeder leisten: Aktuell gibt es drei Brillen im oberen Segment (550 und 1000 Franken) und mehrere Modelle im Niedrigpreis-Segment (20 und 100 Franken).
Vor dem Kauf einer Brille müssen wir diese Fragen klären: Was erwarten wir von der virtuellen Realität – und wie viel sind wir bereit, dafür zu investieren?
Wenn drei sich streiten...
Die HTC Vive hat die Nase vorne: Keine andere Brille schafft das Tracking so punktgenau und ermöglicht die Bewegung im Raum. Voraussetzung: Mein Wohnzimmer ist gross genug.
Doch auch wenn die Brille im ersten Moment für Hochgefühle sorgt, so sollte man nicht gleich abheben. Die rund 900.- Franken für die Brille reichen nicht: Locker 1500.- Franken muss noch für einen leistungsfähigen PC einkalkulieren werden.
Doch damit nicht genug: Denn die Software lässt zu wünschen übrig. Nur ein paar Spiele kann ich auf der Vive zocken – und die fesseln mich nur kurz.
Verlass ist immerhin auf die Modding-Community. Private Tüftler, die selbst Spiele (um)schreiben. Ihnen verdanke ich meinen VR-Lieblingsmoment: Ein GTA V Mod, mit dem ich durch San Andreas heize und durch Korn und Kimme zielend Unruhe stifte (ein ganz neues Schiessgefühl, das sicher noch für Diskussionen sorgen wird).
Die zweite im Bunde heisst Oculus Rift. Dass sie ein gut 100 Franken weniger kostet, merke ich auch an der Hardware. Nichtsdestotrotz funktioniert sie immernoch sehr genau.
Doch auch bei dieser Brille dieselben Problem: Ein leistungsfähiger Computer ist Pflicht. Und die offizielle Spiele können nur kurz faszinieren.
Aber die grösste Einschränkung der «Oculus Rift» ist, dass sie sich nur zum Sitzen eignet. Das schmälert das VR-Gefühl momentan noch sehr. Zum Stehen benötige ich Motion Controller – die liefert der Hersteller erst im Dezember nach.
Last, but not least, die Playstation VR. Sie soll die virtuelle Realität ins Wohnzimmer bringen und hat im Hinblick auf das Weihnachtsgeschäft gute Chancen diesen Auftrag zu erfüllen. Denn neben dem Preis hat Sony weitere schlagende Verkaufsargumente: Ich brauche keinen PC, die Brille ist schnell installiert und sitzt sehr bequem auf dem Kopf beziehungsweise auf der Stirn.
Strahlende Augen unter dem Weihnachtsbaum sind also garantiert. Doch auch bei Sonys Produkt wird sich Ernüchterung breitmachen: Was der Weihnachtsabend vielleicht noch vertuschen kann, wird beim intensiveren Einsatz schnell an den Tag kommen: Die Playstation VR hat ein ungenaues Tracking, ein eingeschränktes Sichtfeld und eine niedrige Auflösung und deshalb fühle ich mich mit ihr oft so, als wäre ich leicht angetrunken. Diesbezüglich ist es wohl fast ein Vorteil, dass auch die Playstation VR zum Sitzen konzipiert ist. Schlecht ist, dass das System geschlossen ist, proprietär und keine Möglichkeiten bietet für Mods.
... freut sich der Vierte
Was tun, wenn über tausend Franken mit «Early-Adopter-Zuschlag» zu viel sind und der passende Computer fehlt? Ist der Traum der virtuellen Realität ausgeträumt?
Nein!
Während sich die grossen Drei um Marktanteile und technische Errungenschaften streiten, mausert sich eine vierte VR-Lösung zur ernst zunehmenden Alternative: Smartphone Headsets. Das sind günstige Brillen, die nicht viel mehr als zwei Sammel-Linsen eingebaut haben. Wir können sie mit der Technologie kombinieren, die wir ohnehin in unserer Hosentasche mittragen.
Neben zahlreichen No-Name Produkten aus aller Welt ist bei uns vor allem die VR-Brille von Samsung im Umlauf. Europaweit habe man bislang eine halbe Million Geräte verkauft.
Die Zahl rührt zwar teilweise daher, dass der Hersteller die Brille vergünstigt oder kostenlos geliefert hat beispielsweise an Vorbesteller der entsprechenden Smartphones, dennoch stellt Samsung mit solchen Zahlen alle anderen VR-Lösungen in den Schatten.
Hat die Brille deswegen nur Schattenseiten? Bedeutet «10-mal weniger bezahlen» auch «10-mal weniger bekommen»?
VR für das Hosensacks-Budget
Nein, denn die mobile Lösung kann gut mit ihren grossen Brüdern mithalten. Das liegt daran, dass Samsung die Gear VR in enger Zusammenarbeit mit Oculus entwickelt und deren «patentierte Linsen» eingebaut hat.
Die Sonnenseiten: Auch beim Trage-Komfort haben die Entwickler bei der mittlerweile 3. Generation dazugelernt. Das Touchpad am Seitenrand der Brille ist kinderleicht zu bedienen. Der lästige Kabelsalat fällt dank dem Smartphone sowieso weg.
Die Schattenseiten: Obwohl je nach Smartphone die Pixeldichte und auch die Auflösung besser ist, als bei den High-End-Produkten, kann ich das Bild nur in der Mitte einigermassen scharf stellen. Nach aussen fällt die Schärfe schnell ab, sodass der «zu tief ins Glas geschaut»-Effekt noch einmal verstärkt wird.
Den anfänglichen VR-Wow-Effekt habe ich aber auch mit nur mässig scharfen Bildern. Zu Beginn nehme ich dazu die Oculus App. Die lässt - wie alle anderen offiziellen Systeme - zu wünschen übrig, deshalb wird man bald versuchen diese zu umgehen.
Mit ein paar Griffen (siehe Bildergalerie) ist auch das kein Problem und ich kann meinen Computer spiegeln oder Filme aller Art (*hust* ja auch – diese!) ansehen. Allerdings stört beim Filme schauen (*hust* ja auch bei eben diesen) die Bildqualität und beim Spiegeln schaffen ich es nicht, die Zeitverzögerung klein genug zu bekommen. Der Spielspass ist dadurch reduziert.
Staunen? Gibt's bei allen!
In ungläubiges Staunen versetzte mich jede Brille. Aber alle liessen mich auch spüren, dass ich meinen virtuellen Träume zwar massiv näher gekommen bin, doch je nach Modell noch viel beziehungsweise einiges zu tun ist.
Einer der führenden Programmierer im VR-Bereich sagte vor Kurzem, dass das Beste, was man momentan mit einer VR-Brille machen kann, sei, sie seinen VR-jungfräulichen Freunden aufzusetzen.
Die bekämen dann – wie er es nennt – ein «Oculus-Face».
Ich pflichte John d. Carmack bei!
Einen sogenannten «Early-Adopter» Preis zahlt man ohnehin. Die Frage ist nur, wie hoch der sein soll und darf, damit man sich nicht ärgern muss, wenn noch nicht alles so ist, wie es sein sollte.
Wohin des Weges?
Diese Frage versuchen Pioniere aus den unterschiedlichsten Gebieten zu klären. Wohin wird die VR-Technologie uns noch bringen?
Die NASA und das Militär finden seit Jahrzehnten immer neue Antworten und ihnen haben wir es zu verdanken, dass wir heute so kurz vor der Erfüllung unserer kühnsten virtuellen Träume stehen.
Mittlerweile haben auch andere Blut geleckt: Architekten zeigen ihre entworfenen Häuser, Lehrer ihren Biologieunterricht, erste Konzerte und Sportevents werden übertragen, Kunst und Filme lassen sich neu erleben und Phobien aller Art wurden mittels Virtual Reality bereits geheilt.
Das ist eben so schön, wie wichtig für die Technologie. Doch was ist mit den Gamern?
Noch ist das VR-Jahr nicht vorbei
Das Gefühl, an einem anderen Ort zu sein und einen anderen Körper zu besitzen. schafft die virtuelle Realität nahezu perfekt. Eigentlich ideale Voraussetzungen für Videospiele – hätte ich mehr Bewegungsfreiheit.
Die scheitert bisher selbst bei der teuersten Lösung, der HTC Vive, an der Endlichkeit der eigenen vier Wände. Manche sagen, man müsse spieletechnisch umdenken und eigene VR-Spiele programmieren, bei denen man sich anders oder gar nicht fortbewegt.
Doch was ich will, ist etwas anderes: Ich will meine liebsten Spiele in Lebensgrösse selbst erforschen gehen(!). Und genau dieses Gehen sollen uns in Zukunft sogenannte Treadmills ermöglichen. High-Tech Laufbänder, die immersive Fortbewegung ermöglichen und für feuchte Gamer Träume sorgen:
In diesen Tagen verschifft Virtuix Omni die ersten Modelle an seine Vorbesteller. Das Kickstarterprojekt wurde innerhalb kürzester Zeit mit 150'000 Dollar finanziert und schloss dann mit 1.1 Millionen Dollar ab. Ähnliche Kickstarterprojekte sind im Gange. Über mangelnde Geldgeber kann sich keine der Treadmills wirklich beklagen.
Mir sagt das: Ich bin wohl nicht die Einzige, die genau darauf hofft und wartet, denn noch ist dieses VR-Jahr 2016 ja nicht zu Ende.
Kompatibilität:
Die Systemanforderungen für die HTC Vive bzw. die Oculus Rift findet ihr in den entsprechenden Links. Für die Playstation VR braucht man eine Playstation 4 oder Playstation Neo. Auch bei den mobilen Lösungen sollte man jeweils prüfen, ob das Smartphone in die entsprechende Brille passt.