Liebes Openair St. Gallen. Ich hatte schon ein etwas komisches Gefühl, als wir uns vor zwei Tagen wieder getroffen haben. Ich hatte nicht dieses Festival-Feeling wie all die Jahre zuvor. Und ja, ich habe im ersten Moment nichts gesagt.
Ich dachte, es läge an mir, liebes Openair St. Gallen. Aber jetzt weiss ich, dass auch du Teil des Problems bist. Irgendwie verstehen wir uns nicht mehr so richtig. Unsere Interessen haben sich in unterschiedliche Richtungen entwickelt.
Sorry, liebes Openair St. Gallen. Aber es kann doch nicht sein, dass ich mich beim Konzert der Editors, um 21.30 Uhr an einem Freitagabend, mühelos in die erste Reihe begeben kann. Es müsste doch ein paar tausend Leute geben, die sich da auf den Füssen stehen.
Noch schlimmer wars kurz vor Mitternacht bei den Nine Inch Nails. Trent Reznors Truppe spielt gerade ihr legendäres «Piggy», da will eine Frau mein Gesicht mit grüner Fingerfarbe verzieren. «Hey», werde ich höflich angesprochen, «ich habe etwas Farbe an meinem Finger übrig.» «Äääh – sorry nein,» antworte ich verwirrt.
Hallo? Da spielen die gottverdammten NIN und … - egal. Lebst du noch Openair St. Gallen? Ich mache mir Sorgen. Ernsthaft. Wir haben hier einst Bands gefeiert. Vom ersten bis zum letzten Ton. Und uns dann noch jahrelang davon erzählt.
Ja. Vielleicht bin ich alt geworden, liebes Openair St. Gallen. Aber dir ist offenbar egal geworden, was uns früher so wichtig war. Wir dürfen die Sitterbühne doch nicht behandeln wie einen elenden Spotify-Account. Wie siehst du das?
Klar, du sagst jetzt, dass gegen Ende der Konzerte stets Stimmung aufkam. Das reicht mir aber nicht, liebes Openair St. Gallen. Ich kann mit dir nicht eine lauwarme Affäre führen. Schon gar nicht, weil wir uns nur einmal im Jahr sehen. Das kann es doch nicht sein. Oder?
Denkst du wir kriegen das wieder hin, liebes Openair St. Gallen?
Du willst mehr SRF 3? Abonniere unseren Newsletter mit den besten Geschichten der Woche, Videos und Podcasts. Hier abonnieren.