Die meisten Angestellten machen Dienst nach Vorschrift. Das zeigt eine Studie aus Deutschland aus dem Jahr 2019. 16 Prozent der Angestellten haben innerlich sogar bereits gekündigt. Grund für diese schlechte Unternehmensbindung, so die Studienmacher, sei zu einem grossen Teil die Unzufriedenheit mit dem Chef oder der Chefin.
Resultate, die den langjährigen Führungscoach Thomas Stankiewitz betroffen machen, aber nicht überraschen. Es sei oft das tragische Ende einer Entwicklung hin zu Resignation. Etwas, das sich oft vermeiden liesse.
«Keine böse Absicht, nur Unvermögen»
In seinem Büro in Bern meint Stankiewitz: «Ganz viele Vorgesetzte haben keine böse Absicht, vieles ist einfach Unvermögen.» Wer der Meinung sei, dass eine Chefin oder ein Chef immer alles im Griff haben muss und keine Fehler machen darf, habe eine falsche Vorstellung von Vorbildern, so Stankiewitz. «Wer alles richtig machen will, ist zum Scheitern verurteilt.»
Nach unzähligen Gesprächen und Interventionen weiss Stankiewitz, dass echte Autorität entsteht, wenn sich Führungspersonen als Menschen zeigen – wenn sie einerseits zu ihren Stärken stehen, diese zum Wohl ihrer Mitarbeitenden einsetzen und anderseits auch ihre Schwächen zeigen. Ein Vorbild ist ein Vorgesetzter, der vorlebt, was ein guter Umgang mit Erfolg und Niederlage ist.
Angestellte müssen «den roten Teppich ausrollen»
An diesem Punkt kommen die Angestellten ins Spiel: Damit sich ein Chef oder eine Chefin authentisch zeigen kann, brauche es die Unterstützung von unten, so der Führungscoach.
Man könne dem Vorgesetzten den «roten Teppich» ausrollen. Damit meint Thomas Stankiewitz: Eine «ehrliche Rückmeldung» geben, so, dass die Chefin oder der Chef wisse, welches Verhalten für einen selbst als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter motivierend ist und welches nicht.
Feedback!
Damit verbunden ist ein Feedback darüber, wie die Chefin oder der Chef wirkt. Er erlebe es immer wieder, dass die Vorgesetzten keine Ahnung hätten, wie sie bei den Angestellten ankommen würden.
Deshalb sein Appell an alle, die geführt werden – führt ebenfalls, einfach von unten. Konkret heisse das «macht euch für eure Vorgesetzten lesbar und deklariert, was ihr von ihnen erwartet.»
So funktioniert Führung von unten:
- Die Chefin oder der Chef ist auf Informationen von unten angewiesen. Thomas Stankiewitz erklärt es mit einem Bild: «Wenn die Mannschaft im Maschinenraum eines Schiffes Informationen auf die Brücke schickt, die nicht der Wirklichkeit entsprechen, werden auf der Kommandobrücke falsche Entscheide getroffen und das Schiff fährt in die falsche Richtung.»
- Wer weiss, dass es wichtig ist, nach oben zu führen, der investiert in die Beziehung zum Chef oder zur Chefin. Eine vertrauensvolle Beziehung ist die zentrale Voraussetzung für eine Zusammenarbeit.
- Feedback von unten ist eine Dienstleistung gegenüber der Chefin oder dem Chef. Es ist eine Chance, dem Vorgesetzten sichtbar zu machen, was er nicht wahrgenommen hat. Nicht etwa, weil die Chefin nicht hinschauen würde, sondern weil es schlicht menschlich ist, Dinge zu übersehen. Wichtig: Feedback heisst nicht, seinem Unmmut unkontrolliert Luft zu machen.
- Es liegt in der Verantwortung des Mitarbeitenden, seiner Vorgesetzten oder seinem Vorgesetzten mitzuteilen, welche Art von Führung sie oder er braucht. Was wirkt motivierend? Was ist hilfreich? Es sei wie in einer Beziehung, sagt Stankiewitz: Auch da könne man nicht davon ausgehen, dass das Gegenüber einfach spüre, was man brauche.
Jeder hat noch jemanden über sich
Was die Vorgesetzten nämlich primär beschäftige und absorbiere, seien nicht die Wünsche und Bedürfnisse der Angestellten, sondern die Ansprüche, die von oben in der Hierarchie kommen. Da gehe es vielen Vorgesetzten ähnlich, wie ihren Mitarbeitern. Jeder hat noch jemanden oberhalb, der Forderungen stellt.
Was aber soll man tun, wenn eine Chefin oder ein Chef für ehrliche Rückmeldungen und Feedback nicht offen ist? Die Haltung des Führungscoachs ist klar: «Ich würde so schnell wie möglich gehen. Abstimmen mit den Füssen nenne ich das.»