Freitag Abend, ich fahre im Bus durch die tief verschneite Agglo Solothurns. Vorbei an Lagerhäusern, am Autogrosshandel, einem Militär-Outlet, Möbelgeschäften und der Bushaltestelle «Zuchwil Mc Donald's». Der Bus spuckt mich aus in Derendingen, durch den Schnee stapfe ich zum Saalbau Bad. Eine Bühne, Galerie und Bar, der Turnverein hält hier die jährliche Abendunterhaltung ab.
Nicht heute: Vier Reihen mit breiten Tischen stehen im Saal, von der Decke hängen Netzwerkkabel. Junge Männer tragen gewaltige PCs und Kisten voller Kabel in den Saal. Nicht wenige haben zwei, einige gar drei Monitore mitgebracht. Stühle sind zwar schon da, doch der gemeine Mittellandmehrzwecksaalstuhl ist nicht bequem genug für vier Tage Dauerspielen. Hier sehe ich ein darüber drapiertes Lammfell, dort hat jemand seinen weissen Leder-Bürosessel mit ergonomischer Rückenlehne angeschleppt. Ein Tisch ist mit ein wenig Tannenchries und Elektrokerzchen behelfsmässig auf Advent getrimmt.
Zusammen spielen als Grundbedürfnis
Die Netgame ist die älteste der Schweizer LAN-Parties. Seit 1995 fand sie 40 Mal statt. Damals in Bern spielten 18 Personen zusammen «Doom». Die PCs waren in einem lokalen Netzwerk, einem «Local Area Network», zusammengeschlossen. Das bot die Möglichkeit, gegen und mit anderen zu spielen – zu einer Zeit, als man eben erst mit langsamen Modems die ersten wackligen Gehversuche auf dem Internet machten.
Es war anspruchsvoll, dieses LAN überhaupt zum Laufen zu bringen, wie sich André «Rayden» Christen erinnert, Veranstalter der Netgame damals und heute. LAN-Parties erfüllten ein soziales Bedürfnis, wuchsen schnell und professionalisierten sich. Die Netgame fand Ende der 90er-Jahre fünfmal pro Jahr statt; den Höhepunkt erreichte die Szene um 2005. Jedes Wochenende hätten mehrere LAN-Parties stattgefunden, meint Christen. Viele kleine und einige ganz grosse: Die QuakeCon in Dallas hatte damals mehr als 6'000 Besucher, die DreamHack über 7'000 (die als Ausnahmeerscheinung weiter wuchs und dieses Jahr über 15'000 Besucher anzog).
Heute sind alle online
Heute hängt jede Konsole und jeder Game-PC am Breitband-Internet. Blockbuster wie die «Call of Duty»-Reihe werden von Millionen online gespielt, ein riesiges globales «Räuber und Poli». Die LAN-Party ist deshalb nicht mehr die einzige Möglichkeit, gegeneinander zu spielen, und, schaut man den Jungs beim Schleppen zu, bei weitem nicht die bequemste.
Dennoch haben diesen Freitag Abend rund 70 Spieler nach Derendingen gefunden, über die vier Tage der Netgame haben sich 250 Personen angemeldet. Sie haben nicht nur ihre PCs mitgebracht, sondern auch Schlafsäcke oder Feldbetten, literweise Eistee und Energy Drinks, Papiersäcke mit Proviant und dem Grundnahrungsmittel Chips. An der Bar gibt es Pommes frites. Auf einem Tisch ist ein schon beachtlich hoher Turm aus leeren Bierbüchsen aufgebaut; man erklärt mir stolz, dass man den noch deutlich höher zu stapeln gedenke. Es riecht nach Bubenschlag, einige haben es sich in Trainerhosen und Latschen bequem gemacht.
Anzeichen von Altersmilde
Mit 16 auf seiner ersten LAN-Party habe er noch drei Tage durchgespielt, erzählt Thomas «Conqueror» Schneider. Heute sei man erwachsener, gehe zwischendurch auch mal an die frische Luft oder duschen. Ein bisschen Nostalgie ist im Raum spürbar, Thomas spielt zum Beispiel das schon recht angegraute «Age of Empires 2» und erinnert sich daran, wie er sich vor seiner ersten LAN-Party auf der ganzen Hinfahrt in Mamas Auto um seinen PC im Kofferraum gesorgt habe. Veranstalter André Christen bestätigt, dass das Durchschnittsalter der Teilnehmer angestiegen sei, von 20 auf 25. Wie «Rayden» haben mittlerweile auch einige im Saal Familie und nicht mehr ganz so viel Zeit zum Spielen wie als Teenager.
Ich gehe durch die Reihen und schaue den Gamern über die Schultern. Ich sehe Autorennspiele wie «Need for Speed», Echtzeit-Strategie wie «League of Legends» oder «Starcraft», aktuelle Shooter wie «Borderlands» und «Far Cry» und natürlich den Klassiker «Counter Strike» - die neue Version «Global Offensive» scheint in der Szene gut anzukommen.
Die Spieler schauen konzentriert auf ihre Bildschirme. Sie tragen alle Kopfhörer und sprechen sich per Mikro ab. Die knappen Kommandos werden nur selten von Ausrufen oder kurzem Jubel übertönt, es herrscht Funkdisziplin und ist erstaunlich ruhig. Beim «Counter Strike»-Turnier am späteren Abend werde es dann schon lauter, meint Thomas Schneider. Doch gerade dass die Stimmung hier so friedlich sei und man nicht wegen jedes Fehlers angeschnauzt werde, schätze er besonders an der Netgame.
Das Gesicht zur Stimme im Kopfhörer
Immer wieder bilden sich Grüppchen um einen PC, man schaut zu, kommentiert, gibt Tipps oder stellt spontan ein Team zusammen. Einige kennen sich, einige lernen sich kennen. Und das sei heute der Hauptgrund, an eine LAN-Party zu gehen, da sind sich Gamer Thomas und Veranstalter André einig: Die Spieler, mit denen man das Jahr über online zusammenspielt, einmal persönlich kennenzulernen. Das Gesicht zu sehen, das zu der Stimme im Kopfhörer gehört.
Dieses Bedürfnis werde auch nicht vergehen, ist André Christen überzeugt; die Besucherzahl werde sich wohl auf tiefem Niveau stabilisieren. Ich habe den Eindruck, dass man darüber nicht unglücklich ist. Der Hype zog auch das Scheinwerferlicht der Medien an, die häufig mit Unverständnis und sorgenvoll gerunzelter Stirn reagierten. Nun ist man wieder unter sich, ohne Rechtfertigungsdruck. Zurück in der Nische ist es der Subkultur am wohlsten.