«Else Heart.Break()» beginnt wie eine klassische utopische Erzählung: Der junge Sebastian, meine Spielfigur, zieht von zu Hause aus und reist per Schiff in das Kaff Dorisburg, um seinen erste Stelle als Limonadenverkäufer anzutreten.
Und wie Sebastian mache ich dieselbe Erfahrung, erlebe Dorisburg als Neuankömmling: Alles ist heruntergekommen, es regnet dauernd und an gefühlt jeder Ecke stehen Computer herum. Alles ist fremd und neu und ich verlaufe mich dauernd im Gewirr der Strassen. Dauernd. Da hilft auch die Karte des Tourismus-Centers nicht weiter.
Cyberpunk in Dorisburg
Bald merke ich: In dieser Stadt stimmt etwas nicht. Ich finde mysteriöse Disketten, die mit «DigitalTrash» beschriftet sind. Computerterminals lassen mich die Inhalte der Disketten lesen – oder erzählen mir etwas über Luftfeuchtigkeit. Ein Computerministerium nimmt einen ganzen Stadtteil ein. Plötzlich lande ich in einem Raum, in dem die Wände zu zerfallen scheinen, bunte Pixel tanzen herum. Was ist hier los?
An einer Party treffe ich eine junge Frau namens Pixie, die angeblich teure Schuhe verkauft. Ich gehe an weitere Parties, saufe mich bewusstlos und halte bald darauf ein Gerät in der Hand: einen «Modifier». Hurra! Dorisburg ist plötzlich nicht mehr langweilig!
Denn mit dem Modifier kann ich direkt sehen, wie zahlreiche Gegenstände im Game programmiert sind: Fernseher, Türen, Strassenlampen, Bier. Und diesen Code kann ich nun selber verändern. Das tun auch Pixie und ihre Untergrundorganisation, denn sie haben dem bösen Computerministerium den Krieg erklärt. « Neuromancer » trifft « The Matrix », garniert mit einer Prise « Illuminatus !».
Hack all the Things!
Klar, auch Sebastian schliesst sich dieser Organisation an, wenn er auch nur Pixie beeindrucken will. Statt aber der Geschichte zu folgen und die ersten Aufträge zu erledigen, teste ich lieber die Grenzen des Games. Bessere etwa Sebastians Kontostand auf: eine Minus im Code ändern, wo ich meine Verkäufe melden muss, und schwupps!, ändert sich Sebastians finanzielle Lage von -34 auf +300‘000 Dollar.
Das ist noch nicht alles. Mit der Funktion «Slurp()» wird Sebastian in Bits und Bytes verwandelt und reist durch das Datennetzwerk von Dorisburg. So kann er schneller von A nach B reisen, statt wie bisher mühsam zu Fuss. Rasch ist klar: Das ist erst der Anfang!
Zum Glück finden sich im Game Anleitungen , wie denn dieser Programmcode funktioniert. Die Programmiersprache heisst Sprak (schwedisch für «Sprache»), die der Programmiersprache BASIC ähnelt. Gleichzeitig existiert bereits sehr viel Code, den wir anschauen können. Daraus lernen wir, wie die Gegenstände überhaupt funktionieren und wie wir sie umprogrammieren können. So eignet sich das Game auch für Leute, die überhaupt nicht programmieren können – Hauptsache, sie bringen genügend Neugierde mit.
Sandkasten für Geduldige
Trotzdem ist «Else Heart.Break()» nichts für Eilige. Gefühlte tausend Spielstunden lang erforsche ich Dorisburg und frage mich, was denn eigentlich der Sinn des Ganzen ist – bis ich endlich am richtigen Ort Pixie treffe. Ich trete Sebastians erste Mission an, lasse mich aber (wieder) von der Welt von Dorisburg ablenken. Und vergesse am Schluss, was Sebastian eigentlich hätte tun sollen. Das muss ich mir dann mühsam rekonstruieren – und das Game hilft mir nicht dabei.
Für mich tritt diese Geschichte bald in den Hintergrund, denn das Game belohnt meine Entdecker- und Experimentierfreude. So fühlt sich «Else Heart.Break()» statt eines Abenteuerspiels wie ein Open-World-Game an: eine Art Sandkasten, in dem ich herumspielen, herumwandern und alles austesten darf.
Dorisburg macht den Unterschied
Coden in Games
Eine programmierbare Welt zu entwerfen, in der ich mich austoben darf – dieses Gameprinzip kam letztes Jahr gross in Mode. 2015 erschienen gleich mehrere «Hacking Games» (siehe Box rechts). Doch «Else Heart.Break()» gelingt es, das Prinzip in eine eigene, durchdachte Welt und Erzählung zu packen. Dorisburg lebt für sich alleine, mit einem eigenen Tagesrhythmus und schrägen, charmanten Figuren. Daraus entstehen Erlebnisse, die dem Game eine Seele einhauchen – das, was etwa «TIS-100» fehlt.
Dorisburg dagegen wirkt lebendig und organisch: der Alki auf der Parkbank, mit dem ich ein Bier teile. Kaffeetrinken im «Cafe Ponty». «Space Invaders» auf einer Konsole im Game selber spielen. Drinks mischen nach Anleitungen auf einer Diskette. Der deutsche Tourist Hans im «Hotel Devotchka».
Was ebenfalls Spass macht: Die Stadt fühlt sich europäisch an. «Vålkommen» steht auf den Fussmatten, Snus liegt neben Zigaretten, die Graffiti ist schwedisch. Ich finde überall Hinweise, dass ein kleines Team aus Schweden das Game entwickelt hat. Dorisburg liegt vielleicht irgendwo im Westen, aber sicher nicht in den USA. Eine schöne Abwechslung angesichts der vielen US-orientierten oder ortsneutralen Games auf dem Markt.
Geduld bringt Code
Selbst wenn sich das Game teilweise etwas sperrig anfühlt, überzeugt «Else Heart.Break()»: ein durchdachtes, wohlkonzipiertes Game, das Neugierde und Experimentierfreude belohnt.
Wer Geduld mitbringt, wird in Dorisburg viel zu entdecken haben. Vielleicht regt das Game auch noch mehr Leute an, das Handwerk des Programmierens zu lernen. Und wer die Passion für Code und «Else Heart.Break()» nicht hat, dem sei stattdessen der vorzügliche Soundtrack empfohlen.
«Else Heart.Break()» ist für Mac, Windows und Linux.