Heute stehe ich in aller Herrgottsfrühe auf und wässere zunächst die Pastinaken auf dem Feld. Dann flicke ich den Zaun. Dann spaziere ich ins Dorf Pelican Town und kaufe im Laden von Pierre Saatgut ein für noch mehr Pastinaken, weil es billig ist. Dazu noch Blumenkohl, denn der wächst zwar langsamer, wirft aber auf dem Markt mehr ab.
Aus dem Bach nebenan fische ich ein paar Barsche. Zurück auf den Hof: pflanzen, wässern, Bäume fällen, Felsbrocken zertrümmern. Um vier Uhr Nachmittags bin ich nudelfertig. Ich tätschle meinen Hund namens Frau Hueber und lege mich schlafen.
Idyllischer Alltag, kaum Aufregung
Das ist der Alltag auf dem Bauernhof Obersack im Stardew Valley. Manchmal passiert durchaus Aufregendes: Zum Eierfest gehen wir auf Eierjagd, doch Abigail mit lila Haaren findet mehr Eier als ich. In Höhlen, Kanalisation oder Mine könnte man sich trauen. Im heruntergekommenen Gemeindezentrum huschen grüne Glibberdinger herum, die entgegen der Behauptung von Bürgermeister Lewis gar nicht wie Ratten aussehen. Oder einen Schokoladenkuchen für Abigail backen. Oder Elliot mit seiner wallenden Mähne einen Granatapfel vorbeibringen.
Doch meist reicht die unaufgeregte Routine völlig aus. Säen, wässern, ernten, fischen, kaufen und verkaufen, dazwischen ein Schwatz im Dorf. Die Musik ist lieblich, Vögel zwitschern und manchmal regnet es. Die Jahreszeiten ziehen vorbei, ab und zu gibt es im Dorf ein Fest und wir bauen unseren Hof aus, beispielsweise einen Hühnerstall. Vielleicht verlieben wir uns und heiraten gar, aber so insgesamt passiert nicht viel.
Selbst wenn wir wollten, könnten wir diese Idylle nicht stören: Wir können die Dorfbewohner nicht angreifen, fremdes Eigentum weder stehlen noch beschädigen, auch im Gespräch nicht rüpelhaft antworten. Konflikte gibt es in dieser heilen Welt kaum, abgesehen von den erwähnten grünen Glibberdingern und einer Ladenkette, die den Laden von Pierre mit unverschämten Rabatten unter Druck setzt.
Grosserfolg eines einzelnen Entwicklers
Diese liebliche Atmosphäre scheint sich direkt auf die Spieler zu übertragen. Der schönste Beleg dafür ist, dass sich in einem Forum auf Reddit spontan Leute meldeten, die das Spiel anderen schenken wollten . Mit dem Ziel, dass weniger Raubkopien im Umlauf sind und der Entwickler für sein Werk entlöhnt wird. Es sieht so aus, als seien hunderte Kopien verschenkt worden.
Nicht nur deswegen ist «Stardew Valley» ein Grosserfolg. Bereits über eine Million verkaufte Exemplare und aussergewöhnlich gute Bewertungen sind absolut aussergewöhnlich, insbesondere, weil «Stardew Valley» von einer einzigen Person entwickelt wurde: Eric «ConcernedApe» Barone aus Seattle.
70 Stunden pro Woche Arbeit über vier Jahre lang
Weil «ConcernedApe» alles selber macht, hat er vier Jahre an seinem Game gearbeitet. Und zwar mit einem unglaublichen Pensum: Er schätzt, im Schnitt 70 Stunden pro Woche in das Game gesteckt zu haben. Aber nicht nur das: Eric Barone ist auch aussergewöhnlich aktiv in der Community seiner Spieler. Er antwortet auf Social Media und Foren auf unzählige Fragen, korrigiert Fehler sofort, eine Woche nach Release waren bereits vier Updates erschienen.
Für diesen enormen persönlichen Aufwand wird Barone mit Bewunderung und Liebe seiner Fans entlöhnt. Gar besorgt um seine Gesundheit zeigen sie sich: «I’m a bit worried about you, please don’t exhaust yourself!» oder «Pls don’t burn out!» schreiben die Fans auf Twitter oder Reddit.
Überwältigende Fülle an Inhalten und Liebe zum Detail
Doch Barone kümmert sich nicht nur vorbildlich um seine Fans. Auch sein Spiel ist toll. «Stardew Valley» befriedigt Grundbedürfnisse: Wir räumen gerne auf, bauen auf, pflegen, schwatzen entdecken. In einer Atmosphäre, die meist ungefährlich, entspannt, freundlich ist. «Stardew Valley» vereint die Land-Idylle von «Animal Crossing» und «Harvest Moon» und perfektioniert sie.
Dazu bietet es eine überwältigende Fülle an Inhalten und Tätigkeiten. Abenteuer- und Streitlustige können Höhlen erkunden und dort auch Kämpfe erleben. Friedfertigere können sich auf das Geldverdienen mit ehrlicher Feldarbeit konzentrieren, von der Pastinake über den Blumenkohl zum Hühnerstall, von der Obstplantage über die Kuhweide zum Trüffelschwein. Oder den Hof ausbauen und verschönern. Oder kochen und backen und die Dorfeinwohner beschenken.
Viele Spieler berichten, wie sie mitten in der Nacht «immer noch einen Tag» weiterspielen, nach Dutzenden Stunden den Eindruck haben, gerade erst angefangen haben. Manche verbringen hunderte Stunden im Tal. Das tun sie nicht, weil sie das Spiel psychologisch geschickt manipuliert, sondern weil hier ein einzelner Entwickler mit einer unglaublichen Liebe zum Detail und einer übermenschlichen Ausdauer sein ganzes Herzblut in ein Spiel gegossen hat.
So mag man sich sonst über eine zynisch gewordene Game-Industrie beschweren, die Risiko scheut, die immer gleichen Blockbuster ausstösst und in erster Linie ans Monetisieren denkt.
«Stardew Valley» ist der exakte Gegenentwurf dazu: eine einzelne Person, deren Leidenschaft belohnt wird. Das uralte Erfolgsrezept kann also noch funktionieren. Nur vor wenigen Jahren wäre der Hit «Stardew Valley» allerdings noch unmöglich gewesen: Denn nur dank digitaler Vertriebsplattformen wie Steam kommt Barone überhaupt an sein Publikum. Und mittels einer vorbildlichen Einbindung der Spieler über Social Media und über frühe, eng begleitete Testversionen konnte er eine grosse und wohlgesinnte Community aufbauen, die nicht nur laufend sein Spiel testete, sondern auch perfekte Mund-zu-Mund-Propaganda betrieb, in einem für einen Einzelnen unbezahlbaren Ausmass.
Friede, Freude, Eierkuchen also nicht nur in «Stardew Valley», sondern auch um es herum. So schön!
«Stardew Valley» ist für Windows PC. Das Haikiew ist hier.