Klara, 32, soziokulturelle Animatorin
Ich lebe in einer offenen Beziehung. Neben meinem Freund treffe ich Frauen und Männer, die ich über Tinder kennenlerne. Dabei kam es schon öfters vor, dass ich nach einem intensiven Austausch, oder nach dem ersten Treffen einfach den Kontakt abgebrochen habe.
Ghosting ist ein ‹Asi-Move›
Über das eigene Ghosting-Verhalten zusprechen, ist nicht einfach. Ghosting ist eigentlich nicht in Ordnung , es ist ein «Asi-Move» und man zeigt nicht gern negative Seiten von sich. Das fühlt sich nicht gut an, zu sagen, ich habe geghostet und dadurch vielleicht auch jemanden traurig gemacht.
Ich glaube, es hat schon auch mit den digitalen Plattformen zu tun, dass heute oft geghostet wird. Man schreibt mit unzähligen Menschen und irgendwie fühlt man sich dadurch weniger verpflichtet.
Aber klar, ich gehe mit meinem Verhalten ständig dem Konflikt aus dem Weg. Ich finde es einfach unglaublich schwierig, einer Person zu sagen, dass ich sie zu wenig spannend finde. Dann rede ich mir ein, dass ich die Person weniger verletze, wenn ich mich einfach gar nicht mehr melde. Gut, vielleicht verletzt sie das genau so – oder noch mehr.
Dass ich ghoste, hat auch vor allem mit mir zu tun, weil ich in diesem Moment einfach keine Kapazität habe. Und ich habe manchmal auch einfach keine Lust, mich zu rechtfertigen. Ich hoffe dann einfach, dass es das Gegenüber nicht persönlich nimmt.
Ich habe ein schlechtes Gewissen.
Aber es ist überhaupt nicht so, dass es mich kaltlässt. Jedes Mal, wenn ich die Tinder-App öffne, sehe ich die unbeantworteten Nachrichten und habe ein schlechtes Gewissen.
Reto*, 32, Informatiker
Ich bin seit bald fünf Jahren in einer Beziehung. Vorher war ich aktiv auf Tinder und es kam durchaus vor, dass ich Bekanntschaften nach dem ersten Treffen geghostet habe. Es ist einfacher, sich aus der Affäre zu ziehen, als sich zu erklären.
Tinder hat diese Möglichkeit ja sogar in seiner Software eingebaut. Wenn ich mit jemandem einen Match hatte und wir dadurch virtuell schon zusammen am Küchentisch sassen, kann man diese Verbindung einfach mit einem Klick auslöschen. Unsere Konversation ist dann einfach gelöscht. Und die Tatsache, dass es mir so einfach gemacht wird, dachte ich schon auch, dass es wohl einfach normal ist, das so zu machen.
Mit mir wurde das ja auch gemacht, ich wurde auch geghostet. Das war nicht wirklich angenehm, weil mich meine Intuition offenbar getäuscht hat. Aber gestresst hat es mich nicht.
Wenn dich jemand ghostet, hat er dich nicht verdient.
Aber klar ist: Diese Leute, die ich geghostet habe, hätten mit mir eine schlechte Partie gemacht. Ich war ganz offensichtlich nicht bereit für etwas Ernstes, ich war nicht bereit der Person den gebührenden Respekt entgegenzubringen. Das würde ich weiterhin unterschreiben: Wenn dich jemand ghostet, dann hat er dich nicht verdient.
*Name von der Redaktion geändert