Wo bleibt der heisse Spitalarzt?
Den grössten Schock erleide ich gleich in der ersten Szene: Dr. Grey ist ja gar kein Mann! Ich hatte mich auf einen attraktiven graumelierten Chefarzt in seinen Fünfzigern gefreut. Stattdessen: Meredith Grey.
Allerdings schliesse ich die Namensgeberin der Serie schnell ins Herz. Ich mag ihr Gesicht. Nicht so zerschnipselt und zurecht gezurrt wie die Gesichter der meisten anderen Frauen, die seit 15 Staffeln die Hauptrolle in einer Erfolgsserie spielen. Da bin ich noch etwas traumatisiert von «Desperate Housewives».
Feuchter Traum im Bademantel
Was ich ebenfalls mag an Meredith Grey: Ihre blühende Fantasie. Die Einstiegsszene zeigt sie beim Sextraum. Gleich in meinen ersten drei Minuten treibt sie es mit so ziemlich jedem männlichen Arzt der Serie. Für mich die Gelegenheit, mir zu überlegen, wer denn nun anstelle von Dr. Grey mein Objekt der Begierde werden könnte. Ich entscheide mich für einen jungen, leicht dunkelhäutigen Arzt im Bademantel. Mein Verdacht: Könnte schwul sein.
Als Dr. Grey und ich aus dem feuchten Traum erwachen, geht die Serie für mich erstaunlich angenehm weiter. Ich mag die Figuren. Meredith Greys Kollegen sind auf sympathische Art unperfekt. Ich mag die schnellen, witzigen Dialoge. Und bin froh, dass ich die Serie in der deutschen Synchronfassung schaue. Im englischen Original würde ich bei diesem Tempo wohl nur die Hälfte der Gags mitkriegen.
Shampooflasche im A***
Und ich mag, dass die Serie ziemlich schonungslos ist. Mein erster medizinischer Fall ist ein Mann, der sich eine Shampooflasche in den Hintern eingeführt hatte. Und nun nicht mehr rausbringt.
Zitat der behandelnden Ärztin: «Das ist pure Dummheit von Heteromännern. Er hat Angst, seine Frau zu bitten, ihn da drin zu berühren. Sie könnte ja denken, er sei homosexuell.»
Patientin mit Morphiumflash
«Grey’s Anatomy» ist also nicht die brave amerikanische Familienserie, die ich erwartet hatte. Hier geht es ziemlich zur Sache. Mein nächstes Highlight ist die Patientin mit offenem Bruch am Bein. Sie ist trotz Verletzung sichtlich guter Laune. Mit Morphium zugedröhnt. In aller Ausführlichkeit lassen die Serienmacher sie von ihrem Rausch schwärmen.
Zu viel Blut
Mehr Zensur wünsche ich mir allerdings bei den Operationsszenen. Der offene Bruch war ja noch harmlos. Richtig eklig wird es, als die Ärzte versuchen, die Shampooflasche aus dem Rektum zu entfernen.
Es ist gar kein Shampoo. Es ist Haarspray. Und als ein Chirurg versucht, ein Blutgefäss mit Hitze zu veröden, explodiert die Haarspraydose in der offenen Bauchhöhle. Und ich muss die blutige Schweinerei mitansehen. Hier hätte ich den Selbstversuch beinahe abgebrochen. Wenn da nicht mein dunkelhäutiger Schwarm wäre. Inzwischen weiss ich, wie er heisst. Dr. Jackson Avery. Er ist Oberarzt.
Nächster Schock
Die grosse Ernüchterung kommt allerdings bei Minute 36 der ersten Folge. Ich lerne seine hübsche Freundin kennen. Also doch nicht schwul.
Fazit meines Selbstversuches: Der Quereinstieg in «Grey’s Anatomy» war erstaunlich amusant. Obwohl ich die Vorgeschichten der Figuren nicht kenne, verstand ich die wichtigsten Zusammenhänge schnell genug. Und eben: Mit Sexträumen, Drogenräuschen und Rektalexplosionen bekam ich genau die Aufregung geboten, die ich in Serien mag.
Grey's-Jünger geworden
Ich habe die zweite Folge gleich angehängt. Und gehöre nun zum Club. Auch ich warte sehnlichst auf den nächsten Serienmontag. Und das Wiedersehen mit Oberarzt Avery. Ein bisschen schwärmen wird man ja wohl noch dürfen….