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Männliches Schönheitsideal «Muskeln schaffen Befriedigung, die wir anderweitig nicht finden»

Schlank und muskulös muss er sein, der männliche Körper. Warum eigentlich? Weil dieses Körperbild für Optimierung, Funktionalität und Attraktivität stehe, sagt Kunstwissenschaftler Jörg Scheller.

Jörg Scheller, auf der aktuellen Ausgabe des Männermagazins «Men’s Health» sieht man einen Mann: Er ist schlank, hat brutal ausgebildete Bauchmuskeln, Adern, die an den Armen hervorstehen, eine glattrasierte Brust. Ist das für Sie das aktuelle männliche Schönheitsideal?

Ja, und es ist nicht nur das aktuelle männliche Schönheitsideal, es ist sehr viel älter. Dieser Typus von Körper kennen wir schon aus dem 19. Jahrhundert und aus der Antike. Wobei es da sehr feine und bedeutsame Unterschiede gibt.

Welche Unterschiede sind das?

In der Antike gab es die Idee, dass diese Körperform das Edle, das Gute und Wahre widerspiegelt. Heute steht das aktuelle Schönheitsideal hingegen für Optimierung, Funktionalität und Attraktivität. Hinzu kommt, dass das Körperideal in der Antike etwas gemässigter daherkam.

Jörg Scheller

Kunsthistoriker

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Jörg Scheller ist Professor für Kunstgeschichte an der Zürcher Hochschule der Künste, Journalist und Musiker. Er kuratierte mehrere Ausstellungen, darunter «Building Modern Bodies» in der Kunsthalle Zürich.

Zu seinem publizistischen Profil gehören Aufträge für diverse Printmedien sowie Buchveröffentlichungen. Er ist ausserdem Sänger und Bassist des Heavy-Metal-Duos «Malmzeit».

(Bild: Annick Ramp / NZZ)

Website von Jörg Scheller

Warum sind die Muskeln des männlichen Körperideals heute grösser? Sinn macht es ja nicht wirklich, wir brauchen sie im Alltag oft viel weniger als früher.

Der eigene Körper verspricht heute eine letzte Domäne der Kontrolle. Wenn ich in der Fabrik arbeite und etwas beitrage zum Prozess des Autobauens, dann steht am Ende nicht meine Signatur auf dem Auto. Wenn ich aber im Gym meine eigene Muskulatur aufbaue, dann bin ich es allein, der diesen Bizeps hat quellen lassen. Und das schafft ein Gefühl der Befriedigung, das man anderweitig eigentlich nicht mehr findet.

Liege ich falsch, wenn ich sage: Das männliche Schönheitsideal hat sich seit der Antike nicht wirklich verändert – ganz im Gegensatz zum weiblichen Schönheitsideal?

Doch, das männliche Schönheitsideal hat sich immer wieder verändert. Es gab Zeiten, in denen der füllige Körper als begehrenswert galten. Aber bereits im 19. Jahrhundert wurden dicke Männer karikiert. Und damals gab auch einen Gegenentwurf: Eugen Sandow, ein preussischer Kraftathlet. Die Harvard University hat ihn vermessen und zum idealen Mann gekürt. Es wird von Frauen berichtet, die seinen Bizeps gefühlt haben und reihenweise in Ohnmacht gefallen sind, weil sie das von ihren leicht aufgeschwemmten Magnatengatten so nicht gewohnt waren.

Welche Rolle spielt Eugen Sandow für das aktuelle Schönheitsideal?

Er ist enorm wichtig. Eugen Sandow hat das Körperbild, das wir heute in «Men’s Health» finden, für eine breite Masse erstrebenswert gemacht hat. Einerseits zeigte er sich in einer skandalösen Nacktheit, mit freiem Oberkörper. Andererseits bediente er sich bei antiken Vorlagen. Er posierte als Herkules Farnese und signalisierte damit: «Hey, obwohl ich quasi nackt bin, bin ich auch ein Bildungsobjekt und verweise auf eine glorreiche Vergangenheit.» So gelangte das Ideal des trainierten, muskulösen und fettfreien männlichen Körpers in die frühen Massenmedien.

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Medien, Influencer, die Modebranche: Wer definiert eigentlich heute das aktuelle männliche Schönheitsideal noch?

Es speist sich aus vielen Quellen: der Vergangenheit, dem Markt, der mit Klischees operiert, der Medizin, die sagt, bestimmte Körper seien gesünder, langlebiger und belastbarer. Und natürlich nicht zuletzt spielen auch Frauen eine Rolle, die durch ihr Verhalten mitbestimmen, welches Körperbild als erstrebenswert erachtet wird.

Hat das Schönheitsideal eigentlich auch irgendeinen Sinn? Oder ist es nur Folter?

Durchaus. Wir leben in einer Zeit, in der wir keine Fettreserven am Körper mehr brauchen. Und das Körperbild passt gut in unsere Konsumwelt, wo schön und attraktiv designte Oberflächen und Produkte dominieren. Und da rein fügt sich dieses Körperbild.

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