Rund um die WM in Katar wird Fussball zum allgegenwärtigen Thema. Genau hinzuhören ist nicht nur für Fans interessant, sondern auch für die Wissenschaft. Warum, weiss «Fussballlinguist» Simon Meier-Vieracker.
SRF: Warum beschäftigt sich ein Sprachwissenschaftler mit Fussballsprache?
Simon Meier-Vieracker: Zum einen ist die Menge dessen, was über Fussball gesprochen und geschrieben wird, unfassbar gross. Rund 10 Prozent des Textmaterials in deutschen Tageszeitungen behandeln das Thema Fussball. Wir kommen daran also nicht vorbei, wenn wir die Gegenwartssprache erforschen wollen.
Zum anderen interessiert mich das Spannungsfeld von Routine und Kreativität: Fussball ist auf eine Art immer gleich: 22 Personen, die einem Ball hinterherjagen, 90 Minuten lang. Um dies aber immer wieder spannend zu erzählen, werden immer neue Beschreibungsweisen gefunden.
Was macht die Fussballsprache besonders?
Es ist eine Sondersprache, die mit überraschend wenig echten Fachausdrücken auskommt. Es gibt zwar Ausdrücke wie «Gegenpressing». Doch ansonsten ist Fussballsprache vor allem bildlich.
Die Bilder stammen dabei aus den unterschiedlichsten Bereichen. Das beginnt bei Kriegsmetaphern wie «Angriff» oder «Verteidigung», geht über Theatermetaphern wie den «Regisseur» bis zur Kulinarik. So ist etwa vom «Sahnehäubchen» die Rede.
Im Fussball werden viele Phrasen gedroschen.
Es sei vor allem Phrasendrescherei, hört man oft. Was sagt der Forscher?
Ja, im Fussball werden viele Phrasen gedroschen. Das hat einerseits mit der Routine zu tun, die ich eingangs erwähnt habe. Andererseits gehört Phrasendrescherei im Fussball fast zum Kulturgut. Man stört sich daran, es macht aber auch irgendwie Spass.
Wie ist es in anderen Sprachen?
Es gibt im Fussball über die Kulturen weg einen geteilten Phrasenschatz. Die Kriegsmetaphern beispielsweise finden sich in vielen Sprachen. Oder Redewendungen wie «Einbahnstrassen-Fussball» lassen sich unter anderem im Englischen nachweisen.
Dennoch gibt es auch kulturelle Unterschiede: Wir sagen, eine Mannschaft ziehe alle Register, eine Metapher aus dem Orgelspiel. Gleichbedeutend sagt man auf Spanisch «poner toda la carne en el asador» (alles Fleisch auf den Grill zu legen), eine Metapher aus der Kulinarik.
Auch gibt es Nuancierungen in den einzelnen Sprachen, kleine, aber feine Details: Heisst es auf Deutsch «sich die Butter vom Brot nehmen lassen», wird im Niederländischen «sich den Käse vom Brot nehmen lassen» verwendet.
Inwiefern hat sich die Fussballsprache in den letzten Jahrzehnten verändert?
Weil sich Spielweisen verändert haben, sind neue Begriffe aufgetaucht oder alte verschwunden: Von «Gegenpressing» sprach man früher nicht.
Auf der anderen Seite hat sie sich erstaunlich wenig verändert. Viele Phrasen, die wie heute dreschen, wurden schon vor Jahrzehnten gedroschen. Empfehlenswert ist die Radioreportage zum «Wunder von Bern» 1954. Da findet sich zum Beispiel die Formulierung «jemand schaltet den Turbo ein». Das klingt sehr modern.
Beispiele, dass auch das Sprechen über Fussball männlich dominiert ist, finden sich auf allen Ebenen.
Fussball war über lange Zeit männlich geprägt – ist es auch heute oft noch. Wie zeigt sich das im Sprechen über Fussball?
«Frauenfussball» als Bezeichnung ist schon vielsagend. Mit «Fussball» als Standard ist Männerfussball gemeint. In anderen Sportarten, etwa Tennis oder Ski, gibt es das nicht.
Hinzu kommen Phrasen wie «richtiger Männerfussball» für eine besonders kampfbetonte Spielweise. Solche Beispiele dafür, dass auch das Sprechen über Fussball männlich dominiert ist, finden sich auf allen Ebenen.
Das Gespräch führte Vera Büchi.