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Warteschlaufen sind Geduldsproben
Aus Treffpunkt vom 08.11.2022. Bild: Wodicka
abspielen. Laufzeit 56 Minuten 33 Sekunden.

Moderne Folter am Telefon Geht Warteschleifenmusik auch weniger nervig?

Bei fast jedem Kundendienst wird man beim Warten mit Warteschleifenmusik berieselt. Aber kann Musik die gefühlte Wartezeit verkürzen? Und welche Rolle spielt die Wahl der Musik? Experten erklären, welche Fehler man bei der Auswahl der Musik keinesfalls machen sollte.

Wer schon mal beim Kundendienst angerufen hat, kennt es: Ein kurzes «bitte haben Sie etwas Geduld» ab Band, und schon startet die Warteschleifenmusik.

Früher war «Für Elise» von Beethoven der Warteschleifenrenner. Mittlerweile ist «Opus No. 1» die wohl meistgespielte Warteschleifenmusik der Welt. Das Stück ist auf weltweit rund 100 Millionen Telefonanlagen vom US-amerikanischen Unternehmen Cisco Systems vorinstalliert.

Was ist eigentlich gute Warteschleifenmusik? 

Eine Firma sollte sich überlegen, wer anrufen wird, sagt Urs Sax von der Victura GmbH, welche Unternehmen berät. «Für einen Snowboardshop ist klassische Musik genauso fehl am Platz, wie Hiphop für ein Anwaltsbüro.» Doch nicht immer lässt sich der Kundenstamm so klar einschränken. Deshalb kommt oft «neutrale» Loungemusik zum Einsatz. 

Völlig ungeeignet ist Musik mit viel Bass.
Autor: Urs Sax Victura GmbH

Viele Firmen lassen Musik komponieren, die thematisch passt und einen Wiedererkennungseffekt hat. Auch der Einsatz von Geräuschen macht Sinn, sagt Urs Sax: «Wenn ich bei einem Tierspital anrufe und im Hintergrund Tiergeräusche höre, weiss ich sofort, dass ich am richtigen Ort bin.» 

Musik ist schlussendlich Geschmackssache. Aber die Qualität muss stimmen: «Völlig ungeeignet ist Musik mit viel Bass. Telefonlautsprecher können damit nicht umgehen, entsprechend furchtbar tönt es.» 

Musik kann auch Folter sein 

Auch aus psychologischer Sicht gilt es einiges zu beachten, sagt Prof. Britta Sweers, Musikwissenschaftlerin an der Uni Bern.

Warteschleifenmusik darf nicht zu kurz sein. Dauerndes Wiederholen desselben Stücks gilt schon fast als Folter.
Autor: Britta Sweers Musikwissenschaftlerin Universität Bern

Warteschleifenmusik sollte unaufdringlich und abwechslungsreich sein, und Tempo und Rhythmus müssen stimmen: «Zu schnelle Musik, kann zu einer höheren Anspannung führen. Ist die Musik zu langsam, kommt Langeweile auf.»

Auf keinen Fall darf ein Stück zu kurz sein: «Wenn man eine Sequenz dauernd wiederholt, wird auch die entspannteste Person aggressiv.» Pausenlose Wiederholung desselben Stücks wurde deshalb sogar zur Folter eingesetzt. 

Gibt es eine Alternative zur Loungemusik? 

Warteschleifenmusik mit Gesang ist grundsätzlich möglich, sagt Urs Sax. Der Text sollte aber zur Firma passen und gut auf allfällige Ansagen abgestimmt sein. 

Wer einem Künstler schaden will, verwendet seine Musik für die Warteschleife.
Autor: Britta Sweers Musikwissenschaftlerin Universität Bern

Wer auf einen bekannten Song setzen will, muss tief in die Tasche greifen, denn es werden Nutzungsgebühren fällig. Dies ist finanziell zwar interessant für Künstlerinnen und Künstler, es gibt aber ein grosses «Aber», sagt Prof. Britta Sweers: «Wenn ein Stück in der angespannten Wartesituation mehrmals gespielt wird, kann es sein, dass man einen gewissen Hass auf den Künstler entwickelt.»

Gewisse Firmen versuchen, ihre Kundinnen und Kunden mit Hörspielen bei Laune zu halten. Oder mit Humor. Die Warteschleife eines deutschen Urologen zeigt, was möglich wäre.

Und wenn man schon weiss, dass man die Kundinnen und Kunden warten lässt, hilft entlarvende Ehrlichkeit.

Kann Musik die gefühlte Wartezeit verkürzen? 

«Nein», sagt Britta Sweers. «Ruhige Musik kann zwar beruhigend wirken. Aber je länger die Leute warten müssen, desto genervter werden sie.» Da helfe auch die beste Musik nichts.

«Das Beste wäre, wenn die Firmen eine Rückruffunktion anbieten würden, anstatt die Leute minutenlang warten zu lassen.» Dann könnte man nämlich die Musik hören, auf die man Lust hat. Und das ist in den seltensten Fällen schlecht gemachte Loungemusik.

SRF 1, Treffpunkt, 8.11.2022, 10 Uhr

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