Seit 40 Jahren sind Die Toten Hosen eine feste Grösse im Deutschpunk. Im Interview spricht Frontmann Campino über Erfolg und blickt auf Tief- und Höhepunkte.
SRF: Gab es in diesen 40 Jahren Momente, in denen es nach einem Ende für die Band aussah?
Campino: Das erste, woran ich denke, ist der Ausstieg unseres Schlagzeugers nach dreieinhalb Jahren. Da war die Gefahr gross, dass wir uns auflösen. Solche Punkte gab es und wir standen oft vor Schwierigkeiten, bei denen wir nicht wussten, wie wir sie überwinden können.
Dann hat uns die Zeit geholfen oder irgendein Glücksmoment, Schicksal, wie auch immer. Eins ist klar: Es braucht – neben Talent, Ehrgeiz und Mühe – eine riesige Portion Glück. Das Glück, im richtigen Moment durch die richtige Tür zu latschen.
Für eure Jubiläumstournee habt ihr an einem Tag 300’000 Tickets verkauft. Was denkst du bei solchen Zahlen?
Ein Hoch auf die Computertechnik, das wäre früher nicht möglich gewesen. Das Internet ist eine unglaubliche Revolution, die uns manchmal gar nicht auffällt. Aber gerade in solchen Sachen hat sich das Verhalten der Fans und Kunden dermassen geändert, dass man sich in einem Klick in Sekunden eine Karte sichern kann. Im Umkehrschluss: Es gibt keine Abendkasse mehr.
Das ist die technische Seite. Meine Frage impliziert aber auch diese Erfolgsmaschine. Die Hosen wissen doch gar nicht mehr, wie sich Erfolglosigkeit anfühlen könnte…
Es ist meine tiefste Überzeugung, dass man nichts selbstverständlich nehmen darf. Auch nicht, dass es nach all diesen Jahren noch Leute gibt, die auf unsere Lieder warten und sich auf unsere Konzerte freuen.
Wir bringen eine neue Single raus und alle streiten sich, ob das jetzt scheisse oder genial ist. In solchen Momenten bist du glücklich, dass die Leute sich noch mit dem beschäftigen, was wir rauslassen.
Punkrock und Erfolg – der «Spiegel» hat einmal geschrieben, ihr wärt fast ein bisschen zu erfolgreich. Kannst du damit etwas anfangen oder ist das Schwachsinn?
Natürlich ist es Schwachsinn. Das ist die ewige Frage, was ist Punk, was nicht. Letztlich sind das aber Pseudo-Widersprüche: Geld haben und Punksein, wie geht das zusammen? Es geht doch darum, was du mit der Kohle machst.
Ich verbringe lieber Zeit mit einem Disco-Fan, der in Ordnung ist, als mit einem Punk, der ein Arschloch ist.
Für mich ist viel interessanter, dass ich sagen kann, dass ich in 40 Jahren nicht ein Lied an die Werbung verkauft habe. Und die Angebote an die Toten Hosen gingen in mehrfache Millionenhöhe.
Ihr habt eine Liste von allen Konzerten in der Schweiz veröffentlicht. Gibt es eines, das du in bester Erinnerung hast?
Wir haben wahnsinnig viele gute Abende hier gehabt. Aber ich hatte eine unglaubliche Nacht in Winterthur, Musikfestwochen in der Altstadt. Ich erinnere mich, dass ich von der Bühne mit einem Bein auf einem Fenstersims gelandet bin, und die Fensterscheibe zu einer Wohnung eingetreten habe.
Das war mir entsetzlich peinlich. Im Nachhinein habe ich Gesangsbücher gespendet und mich in aller Form entschuldigt.
In völliger Euphorie und mit aufgeschnittener Vene am Bein habe ich den Leuten Bücher und Lampen aus der Wohnung gegeben. Am Schluss kam raus, dass es die Wohnung des Gemeindepfarrers war.
Ein Tiefpunkt war 1990 im Volkshaus in Zürich…
Wir hatten eine Tour mir 55 Konzerten, das Volkshaus war unsere letzte Station und wir hatten zuvor zwei Tage durchgefeiert. Ich bin auf die Bühne gelaufen, hingefallen und konnte nicht mehr aufstehen. Unser Schlagzeuger konnte die Stöcke nicht mehr halten.
Die Schande vom Volkshaus ist uns lange als Stempel auf der Seele geblieben.
Es war ein fürchterliches Desaster. Nach 25 Minuten musste der Auftritt abgebrochen werden. Das Schlimmste war, dass die Menschen uns dennoch angefeuert haben und an uns geglaubt haben. Wenn sie wenigstens gebuht hätten.
Das Interview führte Dominic Dillier.