Sonntag, 2. Juli 2023, 18.15 Uhr: Ein kleiner, fensterloser Raum im Westtrakt des Stadions Letzigrund. Es riecht nach Schmerzgel vom letzten Fussballspiel. Eine Lichterkette drapiert die aufgebaute Interview-Kulisse mit Sternenhimmel und Weltraumsymbolen. Davor sitze ich in einem der beiden Klappstühle, rücke mein Ansteckmikrofon zurecht, bis jemand sagt: «Sie kommen.»
Auftritt Chris Martin
Er ist grösser und breiter, als ich dachte. In den Videoclips wirkte er auf mich immer wie ein schmächtiger Brit-Popper, den ein Windstoss vom Velo werfen könnte. Jetzt biegt sich Chris Martin unter den Filmset-Leuchten durch, verteilt Faustgrüsse und sagt dazu «Hello», «How are you?» und «I like to fistbump».
Der Sänger der aktuell erfolgreichsten Band der westlichen Welt setzt sich in den Stuhl vis-a-vis und verströmt die Ruhe und Autorität eines Zen-Meisters. Das Regenbogen-Shirt passt zum Tuch im Hintergrund und dem Farbkonzept von Coldplays aktuellem Album «Music of the Spheres». Wir heben ab, Hals über Kopf ins Gespräch. Ein viel zu kurzer Abstecher in die Coldplay-Galaxie, auf den wir dich oben im Video mitnehmen.
Was bleibt auf der Strecke?
Obwohl wir uns auf Anhieb verstehen, eine wirkliche Tiefe erreichen wir nicht. Dies liegt bestimmt auch an der beschränkten Zeit. Knapp 15 Minuten stehen uns zur Verfügung. Martin erwähnt die Tanzflächen und die Fahrräder, auf denen ihre Fans während der Konzerte Strom erzeugen. Er spricht von den Solarpanels auf dem Dach des Stadions.
Die Aussagen klingen gut. Enthusiastisch – Werbefilmmaterial. Aber mit jeder Antwort wächst das Gefühl, dass Coldplay ein Grossbetrieb ist, der längst zu gross ist, als dass der Captain über jedes Detail der Klimastrategie Auskunft geben kann.
Was bleibt hängen?
Die Zeit ist um. Eine Hand signalisiert mir, dass das Interview vorbei sei. Chris Martin will weiterreden. Ich habe eine letzte Frage. Na dann: «Auf einer Skala von gelb bis blau – wie grün sind Coldplay?». Antwort: «Nicht grün genug.» Er fügt an, dass es bei ihrem Effort nicht darum gehe, schon am Ziel zu sein. Viel wichtiger sei es, dranzubleiben, weiterzuarbeiten und weiterzusuchen. Da blitzt er noch ein letztes Mal auf, der Zen-Meister hinter den glühenden, blauen Augen.
Chris Martin verabschiedet sich. Kurzes Kompliment für mein selbstgestochenes Tattoo. Ich: «Es ist ein Wal.» Und weg ist er. Verschwindet in die Gänge des Stadions, um eine Stunde später die 50'000 Fans mit dem Eröffnungssong «Higher Power» zu elektrifizieren.