Im Fussball gibt’s zwei Sorten Fans: diejenigen, die nur bei grossen internationalen Ereignissen wie der WM oder EM aus den Löchern kriechen und sich mit lustigen Fan-Accessoires herausputzen. Und diejenigen, die jedes Wochenende ihren Club in einem Stadion anfeuern und dafür aufwändige Choreos auf die Beine stellen. Ok, das ist überspitzt formuliert. Im Kern aber wahr.
Ultra-Songentwicklung
Am deutlichsten zeigt sich der Unterscheid beim gesanglichen Unterstützen des Teams. Fans der Nationalmannschaft bringen vielleicht ein rhythmisches «Hopp Schwyz» zustande. Ultra-Gruppierungen gehen ausgeklügelt ans Werk. Das zeigt das Beispiel der Berner Ostkurve. Als Kurve wird der Ort bezeichnet, wo die Ultra-Fans jeweils stehen.
«Innerhalb der Berner Ultras gibt es eine Gruppe, die für Songentwicklung zuständig ist», sagt Adrian Werren von der Fanarbeit Bern. Diese Leute suchen nach geeigneten Songs und dichten Texte um. So wurde aus «Run this Town» von Jay-Z & Rihanna zum Beispiel «Hüt spiut YB wider mau» oder «So High» von SXTN wurde zu «Weisch no dä Tag», eine Anspielung auf den Titelgewinn der Berner Young Boys nach 32 Jahren Durststrecke.
Damit die anderen Fans die neuen Songs üben können, werden Flyer mit QR-Codes gedruckt. Diese führen zu Gesangsmelodie und neuem Text. Darüber hinaus hat die Berner Ostkurve letztes Jahr ein Gesangsbüchlein im Stadion verteilt.
Einfach und eingängig
Stilistisch ist bei den Songs fast alles dabei. Einziges Kriterium: Die Gesangsmelodien müssen eingängig, wiedererkennbar und schnell mitsingbar sein. Sprich: Man arbeitet vorwiegend mit Hits. Thematisch geht es oft ums eigene Fansein, die Liebe zum Club und Aspekte der Fankultur wie das Hinterherreisen.
Die Ultras hätten durchaus den Anspruch, nicht einfach nur Banales zu singen, erzählt Adrian Werren im SRF 3 Musikpodcast Sounds! Zentrale. Zumal es zwischen den Kurven auch so etwas wie einen inoffiziellen Wettbewerb gebe.
Kurven-Wettbewerb
«Wenn eine Ultra-Gruppierung einen neuen Song clever vertont, gibt’s dafür Anerkennung von den anderen Kurven», sagt Werren. Dabei werden auch Songs und Melodie aus anderen Ligen übernommen. Texte von andern Schweizer Kurven umzutexten, sei aber verpönt. Umso ärgerlicher sei es gewesen, als die Südkurve des FCZ vor Jahren plötzlich «Dr Eskimo» von Mani Matter angestimmt habe. «Das hat sogar mich geärgert, dass wir Berner da nicht selbst draufgekommen sind», sagt der Fanarbeiter und lacht.
Wettbewerb auch bei den Choreos
Auswirkung aufs Spiel
Fussallfans werden oft als 12. Mann bezeichnet, weil sie wesentlicher Bestandteil eines Spieles sind. Ob ihr Gesang einen direkten Einfluss hat auf die Leistung der Teams, lässt sich allerdings kaum messen.
Beim Frauenfussball dürfe der Einfluss kaum vorhanden sein, weil sich dort der Publikumsaufmarsch in Grenzen hält. Beim Männerfussball habe die Akustik bestimmt Auswirkungen auf das Spielgeschehen, sagt Fanarbeiter Adrian Werren. «Gleichzeitig glaube ich aber auch, dass die Fans ihren Einfluss überschätzen.»
Egal wie gross dieser Einfluss tatsächlich ist, bei den kommenden Spielen der Schweizer Nationalmannschaft kann diese jede Unterstützung gebrauchen. Wenn der Fan-Gesang dabei etwas kreativer ausfällt als einfach nur «Hopp Schwiiz» zu brüllen, dürfte niemand böse sein.