Der Einlass erinnert an den Sicherheitscheck an einem Flughafen: Nichts Flüssiges soll mit reingenommen werden, keine Tiere, keine Waffen, keine Taschen, ausser sie sind durchsichtig und nicht grösser als A4-Format. Okay. Dann also durch den Bodyscanner und rein in die Halle.
Drinnen wird schon gekreischt. Und aufgewärmt: Ariana Grande hat etwas Verspätung – ein paar ihrer Songs lässt sie aber bereits über die Anlage laufen, so können sich die Fans schon mal einsingen und sich in die richtigen Vibes tänzeln.
Damals in Manchester
Wer Ariana Grande sagt, wird automatisch mit ihrer Vergangenheit konfrontiert: Im Jahr 2017 starben 23 Menschen – zehn davon weniger als 20 Jahre alt – als ein Terrorist an einem ihrer Konzerte in Manchester eine Bombe zündete. Im September 2018, kurz nach dem Release von Grandes Album «Sweetener» starb ihr Ex-Freund und US-Musiker Mac Miller in seinem Haus in Los Angeles an einer Überdosis Kokain und Fentanyl.
Für einen Moment lang stand die Welt still, und man glaubte, Arianas Trauertränen auf den Boden kullern zu hören. Stattdessen hörte man bereits den schimmernden Auftakt zur Leadsingle ihres neuen Albums «Thank You, Next»: knapp fünf Monate nach Millers Überdosis veröffentlichte Ariana Grande das Album, welches jegliche Streamingrekorde brach und mit deren Songs im Gepäck sie gestern Nacht auf ihrer «Sweetener World Tour» im rappelvollen Zürcher Hallenstadion auftrat.
Die perfekte Pop-Show
Und plötzlich wird sie hochgefahren, aus dem Untergrund der Bühne und sitzt dann inmitten einer achtköpfigen Tanzgruppe. Allesamt an einem langen Tisch, Ariana in der Mitte. Das Konzert beginnt mit dem Bild des letzten Abendmahls. Und mit unglaublich lautem Kreischen, rotem Stroboskop und bald schon einem fetten Bass-Beat.
Der Song «God Is A Woman» wird angestimmt und alle singen mit. «Aris» Fans verstehen es gut, jede Zeile inklusive spontane Ad-libs mitzusingen und gleichzeitig, Handy in der Hand, auch noch die selben graziösen Gesten zu performen, wie ihre kleine Göttin es auf der Bühne tut. Sie wollen alle sein wie sie, und sie gibt ihnen zwei Stunden lang das Gefühl, dass sie tatsächlich gleich sind. Ein Hit jagt den anderen und treibt die kreischende Menge durch ein pastellfarbenes Wechselbad der Gefühle.
Die Fanherzen schlagen besonders dann höher, wenn «Ari» mit ihrer schlängelnden Tanzgruppe über den Catwalk wandelt, der von der Bühne aus bis weit ins Publikum seinen Kreis zieht. Ariana Grandes Bewegungen haben etwas dompteurhaftes, so, wie im Zirkus Tiger präsentiert werden, die durch brennende Reifen springen.
Ihre Reifen wiederum sind die waghalsigen Gesangspassagen, in die sie sich immer wieder stürzt. Gesangslinien, die sie dermassen souverän meistert, dass man schon fast meinen könnte, sie singe Playback. Tut sie aber nicht: Sie ist einfach eine verdammt gute Sängerin. Vielleicht sogar die versierteste Popsängerin der Stunde. Nicht umsonst wird sie mit Mariah Carey oder Whitney Houston verglichen. Während dem ganzen Konzert geht kein Ton daneben. Die Ariana-Grande-Show verkörpert unangestrengte Perfektion.
Ich bin echt! Ehrlich.
Einen Pop-Mythos wie den von Ariana Grande zu bauen, braucht weit mehr als nur musikalisches Talent und äusserliche Schönheit. Arianas unsichtbare Grundwährung ist ihre scheinbare Nahbarkeit. Nicht immer ist sie für ihre Fans die unerreichbare Pop-Göttin, online ist sie auch Freundin auf Augenhöhe und implizit auch stets erfolgreich auf der Suche nach Mitgefühl.
Ihre «Echtheit» ist ein Motiv: Zum Beispiel wenn Miss Ponytail per Insta-Post ihre natürlichen, lockigen Haare zeigt. Oder wenn sie einem Fan auf Twitter antwortet, dass ihr das Songschreiben zwar helfe, das Auftreten auf der Bühne für sie aber die Hölle sei . Vor einigen Monaten veröffentlichte sie gar ihren Hirnscan , um ihre angebliche Posttraumatische Belastungsstörung (unter Anderem bedingt durch oben erwähnte Schicksalsschläge) quasi öffentlich auszutragen. Darunter setzte sie Slogans wie «Live is Wild» oder «she’s trying her muthafuckin best».
Und in dieser Kunstform, mit ihren Fans so zu kommunizieren, dass man meinen könnte, dabei die echte, unverfälschte Ariana kennenzulernen, ist sie Meisterin. Ariana Grande ist letztlich nicht nur grammy-gekrönte Popmusikerin, sondern auch geschulte Schauspielerin.
Mitsingen verbindet
Gut möglich, dass sie genau deshalb so wenig spricht an ihrem Konzert im Hallenstadion: Weil sie weiss, dass diese «Ehrlichkeit» auch auf dem Spiel steht, wenn sie zu direkt mit ihren Fans spricht. Sie sagt nicht viel mehr an diesem Abend, als «Hello Zurich!», «Let's go Zurich» und «Thank you very much for this evening, Zurich!».
Vermutlich aber braucht sie auch gar nicht mehr zu sagen . Sie singt schliesslich. Und ihre Fans singen laut mit, bis Ariana mit den letzten Zeilen von «Thank You, Next» und einem Augenaufschlag, der jeder und jedem ganz persönlich gegolten hat, von der Bühne verschwindet.