Nichts ödet mich mehr an wie Leute, die ständig den vermeintlich guten, alten Zeiten nachhängen. Wer das tut, verpasst das Jetzt. Trotzdem bin ich mit Mitte 30 nicht gefeit vor Nostalgie-Anflügen nach dem einen oder anderen Bier – oder nach dem Hören der aktuellen Folge des Sounds!-Story-Podcasts, in dem die Abart-Gründer die Geschichte ihres Clubs aufrollen (oben in diesem Artikel).
Das Abart, der Club, der Zürich während 15 Jahren zum Schweizer Schmelztiegel für Gitarrenmusik machte. 2012 schloss es seine Türen, weil sich das Sihlcity-Quartier von der Industrie- zur Wohngegend entwickelte. Aber auch, weil es Zeit war.
Es machte zu, bevor es schlecht, langweilig, oder noch schlimmer: egal werden konnte. Was wohl einer der Hauptgründe dafür ist, warum so viele Leute – und hach, auch ich – dem Laden selbst zehn Jahre später noch nachtrauern.
New York und London in Zürich
Als Bündner Bergbub lernte ich modernen Indie-Rock (oder «Post-Punk-Revival», wenn du Musik nur ab Vinyl hörst und ausschliesslich überteuertes Craftbeer trinkst) nicht in heimischen Bars kennen – da lief nur Gimma, Ska oder Gimma, der Ska machte. Stattdessen eröffnete mir der Soundtrack des Snowboard-Games «SSX on Tour» (Bloc Party! Maxïmo Park! LCD Soundsystem!) dieses Genre und bei meinem ersten Besuch im Abart im Herbst 2006 hörte ich es erstmals auch in der echten Welt.
Aus dem Abart-Fototresor
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Bild 1 von 10. Einen Monat vor der Schliessung Ende 2012 fanden sich nochmals alle Turbojugend-Mitglieder des (Um-)Landes im Abart ein und pogten zur norwegischen Punk’n’Roll-Kapelle Turbonegro. Bildquelle: Abart.
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Bild 2 von 10. Der Indie-Rock der Nullerjahre machte eine Zeit lang auch heftig mit Dance-Punk rum. An der Front dieses Nu-Rave-Hypes ritten Bands wie Klaxons, Hadouken! und Late of the Pier. Neben der Electronica brachte diese Bewegung auch viel Farbe in die Club-Fashion – hier zu sehen an Feier-Freundinnen und -Freunden des Artikel-Autoren. Bildquelle: Abart.
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Bild 3 von 10. Diesem Hype entsprang die Indiependance-Partyreihe, bei der – wie bei allen Partys im Abart – gerne auf der Bühne getanzt wurde. Später schwappte mit der von Hive-Residents organisierten Einsteins-Party noch mehr Elektronik in den Club, er ging also durchaus mit der Zeit. Bildquelle: Abart.
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Bild 4 von 10. Die DJ-Kanzel befand sich mitten im Raum (hier mittig links im Bild), Musikwünsche prasselten entsprechend von überallher auf die Musik-Tätschmeisterinnen und -Tätschmeister ein. Bildquelle: Abart.
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Bild 5 von 10. Der kleine Raum kurz vor der mörderisch steilen Treppe runter zu den Toiletten und der unteren Bar samt Billardtischen war perfekt, um sich von einem Tanzkrampf in den Füssen zu erholen – und um Spiegelselfies ausserhalb des WCs zu schiessen. Bildquelle: Abart.
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Bild 6 von 10. Der Club-Rundgang geht weiter mit diesem Blick von der Bühne ins aufgeräumte und geputzte Abart. Tischlein und Hocker wurden natürlich weggeräumt, wenn’s langsam voll wurde. Bildquelle: Abart.
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Bild 7 von 10. Und zwar hierhin auf die andere Seite der Mördertreppe. Dort gönnte sich die Crew nach Ladenschluss auch gerne ein, zwei Schlumis, teilte das Trinkgeld auf oder servierte neuen Mitarbeitenden absurd scheussliche Longdrink-Kreationen, die diese dann als Initiationsritual runterkippen mussten. Das Ziel, danach nicht zu kotzen, verfehlten die meisten. Bildquelle: Abart.
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Bild 8 von 10. Die Abart-Bar war aussergewöhnlich lang, wodurch schnell viele Getränke ausgeschenkt werden konnten, was nicht nur die Gäste, sondern auch das Clubkässeli freute. Bildquelle: Abart.
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Bild 9 von 10. Der Parkplatz vor dem Abart, wo Bandbusse direkt neben dem Bühneneingang parken und Feiertollwütige sich kurz abkühlen konnten. Das Foto stammt vom 3. Dezember 1998, als Die Toten Hosen «inkognito» als Die Roten Rosen im Abart spielten, sich eine riesige Schlange vor dem Club bildete und die Venue so über die Landesgrenzen hinweg bekannt wurde. Bildquelle: Abart.
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Bild 10 von 10. Christian Gremelmayr (links) und Oli Zemp, zwei der Abart-Gründer und bis zum Schluss Geschäftsführer, posieren fürs Abart-Buch, das nach der Clubschliessung Ende 2012 erschienen ist. Eingerahmt werden sie von Barchefin Paz Demont. Bildquelle: Abart.
Die Menschen in diesem neonbeleuchteten Industrial-Bunker an der Manessestrasse sahen aus wie die an Szenepartys in New York und London: Sie trugen Skinny Jeans, V-Necks oder Tanktops und dazu Chucks oder Chelsea Boots und tanzten auf diesem von verschütteten Drinks und vergossenem Schweiss halsbrecherisch rutschig gewordenen Metallboden zu Hits der Arctic Monkeys, Yeah Yeah Yeahs und The Strokes. Es klingt ekelhaft kitschig, natürlich, aber: Ich hatte ein neues Zuhause gefunden.
Als die Stars noch Sternchen waren
In meiner neuen, rund 400 Alternative-Nerds fassenden Stube sah ich Calvin Harris, der mit Bangers wie «Acceptable in the 80s» tatsächlich noch akzeptable Musik machte. Ich beklatschte die aus «The O.C.» bekannten Westküsten-Darlings Rooney und ihren Dauerbrenner «When Did Your Heart Go Missing?», den sie sowohl als Opener und Closer spielten. Und im Moshpit von Kraftklub erfuhr ich, dass Schweiss tatsächlich von der Decke tropfen kann.
Dazwischen interviewte ich als blauäugiger Musikjourni Bands im Abart-Backstage, prügelte mich als kaputte Gläser einsammelnder Runner durch die Feiermenge, wurde Resident-DJ der Supersonic-Partyreihe, kam mit der Barchefin zusammen und lernte zwischen zwei Konzerten draussen meine nächste Freundin kennen (im Gegensatz zum DJing gelang mir zwischen ihnen übrigens kein sauberer Übergang).
Ersatz gab es nie
Jetzt ist es doch passiert: Ich schwelge in der Vergangenheit. Das Abart hat meine 20er nun mal mehr geprägt als alles andere. Und so wie mir geht es einer ganzen Reihe ehemaliger Indie-, Rock- und Metal-Scenekids der Schweiz, die im Januar 2013 plötzlich diese Stube nicht mehr hatten und bis auf das kurzlebige Kinski (heute Klaus) an der Langstrasse auch keine neue fanden.
Klar, das Leben ging und geht weiter. Aber mit dem Abart war es halt ein bisschen toller. Und lauter sowieso.
Das 25-Jahr-Jubiläum der Abart-Eröffnung wird am Samstag, 28. Januar, im Zürcher Dynamo gefeiert.