Ich hatte alle Alben von Madonna. Von «Madonna» (1983) bis «Music» (2000). Ich hatte sie alle. Die Bedeutungslosigkeit dieses Satzes steht exemplarisch für den Wandel der Zeit. Schliesslich haben heute alle alles von Madonna. Nur ich habe Madonna nicht mehr. Dabei hatte alles so gut angefangen.
Als ich Madonna kennenlernte
Nie werde ich das Mädchen mit dem Streifen-Pulli und der kecken Kurzhaarfrisur vergessen. Ich sah sie singen im Musikfernsehen. Sie sang irgendwas über ihren Papa. Und da waren auch Jungs im Spiel. Viel mehr habe ich mit 12 Jahren nicht verstanden. Ich war unschuldig verknallt in ein singendes Mädchen, das längst eine Frau war, und in ihren alles andere als unschuldigen Song.
Mir fiel damals nicht auf, wie Madonna bei «Papa Don't Preach» musikalisch mit Beethoven (Klaviersonate Nr. 23, OP. 57 «Appassonata») und styletechnisch mit Marilyn Monroe flirtete. Ich sah den gnadenlosen Vamp nicht, der in diesem Mädchen steckte. Wusste gewiss nicht, was ein Vamp ist. Und ich wusste auch nicht, dass das alles nicht nur ihre Idee gewesen war. Das mit dieser Madonna, so hiess das Mädchen.
Madonna Louise Veronica Ciccone. Es war die Zeit, als man so etwas wie Stolz verspürte, wenn man die vollen oder wirklichen Namen von Popstars wusste. Nena = Gabriele Susanna Kerner / Jon Bon Jovi = John Francis Bongiovi / Klaus Meine = Klaus Meine.
Doch dann wurde es komplizierter.
Als ich Madonna entdeckte
Bei «Like A Prayer» (1989) war ich bereits ein fleissiger Booklet-Leser und stolperte über den Namen «Prince». Rückwirkend interessierte ich mich für die Produktion von «Like A Virgin» durch Nile Rodgers, bemerkte, dass Madonna eine wirklich sehr durchschnittliche Sängerin ist und begriff dafür allmählich, wo die wohl grösste Qualität der Queen of Pop lag: Im Wissen, wen sie im Boot haben muss, um Trends zu setzen.
Madonna entwickelte über die Jahre ein unglaubliches Gespür dafür, die richtigen Leute um sich zu scharen. Mit Produzenten wie Nellee Hooper (Massive Attack, Björk), Babyface, Mirwais und allen voran William Orbit entstanden musikalische Pop-Perlen der Extraklasse.
Während ich viele meiner Freunde zulaberte mit dem sensationellen Gespür von Madonna in Sachen Produzentenwahl, entging mir anfänglich schon fast, dass sie auf der Provokations- und Mode-Ebene ebenso clever handelte.
Als ich Madonna vergötterte
Der für mich beste musikalische Madonna-Moment ist inzwischen 20 Jahre her. Der Wurf des britischen Produzenten William Orbit «Ray Of Light» machte für mich aus Madonna, der Königin des Pop, definitiv eine Göttin.
Durch dieses Album wurde Madonna in meiner Wahrnehmung zu einer Künstlerin, die auch ohne Skandale, Provokationen oder andere Leuchtpetarden als Musikerin überzeugte. Auf «Ray Of Light» stellte sie sich zum ersten Mal in den Dienst des Songs und ordnete ihre Person der Musik unter.
Als mich Madonna verliess
Nach «Ray Of Light» folgte das Album «Music» (cool) – dann kam «American Life» (auch noch ok) – und dann war Schluss. Madonna Louise Veronica Ciccone verabschiedete sich aus meinem Leben. Sie war knapp 50 Jahre alt und mir schien, als könnte sie damit nicht umgehen.
Eigentlich erstaunlich. Mit 40 veröffentlichte Madonna ihr vielleicht bestes, ganz sicher reifstes Album. Die Türen standen weit offen, um die Transformation vom Sexsymbol und Provokations-Talent zur reinen Musikerin zu schaffen. In meinen Augen – und leider auch Ohren – hat sie dies aber nicht gemeistert.
Jajaja. Schon klar. Grösser als Madonna kann man natürlich nicht werden. Und eine Ikone ist sie alleweil. Den Glauben an ein ihr würdiges Alterswerk habe ich inzwischen aber verloren.
Was ich nicht verloren habe: Die Erinnerung an das Mädchen mit dem Streifen-Pulli und der kecken Kurzhaarfrisur. Ich weiss noch ganz genau, wie sich damals Popmusik für mich angefühlt hat. Ich weiss aber auch, dass das eine Erinnerung ist. Ich weiss, dass ich das nie mehr so erleben werde. Weil ich weiss, dass man Popmusik nie intensiver erlebt, als wenn man ihr zum ersten Mal bewusst begegnet.
Happy Birthday Madonna.