Wenn du Capital Bra liebst, dann bist du schätzungsweise zwischen 15 und 25. Du weisst, dass «Bratan» Bruder heisst und nennst Capital Bra kurz «Capi». Du interessierst dich kaum für Erklärungsversuche zum Phänomen Capital Bra. Schliesslich spürst du es. Und wenn du jetzt tatsächlich noch am Lesen bist, wechselst du wohl demnächst auf die Social-Media-Kanäle des momentan erfolgreichsten deutschen Rappers. Denn die Chancen stehen gut, dass der Berliner da gerade einen neuen Song auf die Welt loslässt.
Andere haben vielleicht Fragen wie: Wer ist dieser Capital Bra überhaupt? Wieso folgen dem drei Millionen Menschen auf Instragram? Oder: Wie konnte dieser Senkrechtstarter in den deutschen Single-Charts mehr Nummer-Eins-Platzierungen verbuchen als sonst wer?
Wer ist Capital Bra?
Geboren vor 24 Jahren als Vladislav Balovatsky in Sibirien. Mit sieben kommt er nach Berlin, später auf die schiefe Bahn. Verbüsst ein paar Jugendstrafen. Schulabbruch. Erkämpft sich Credibility im Untergrund. Wird Mainstream. So lesen sich geglückte Berliner Strassen-Rap-Karrieren.
Was hat Capital Bra?
Abgesehen von einem ziemlich ausgewieften Social-Media-Verständnis, welches auf Quantität, Timing und ein bisschen Provokation aufbaut, punktet Capital Bra mit dem Spiel zwischen Kalkül und Unberechenbarkeit. Er hat den Wahnsinn in den Augen und Feuer im Arsch.
Er weiss, dass er in jeglicher Hinsicht an der Oberfläche bleiben muss, um gesehen, gehört und verstanden zu werden und setzt das gnadenlos um. Somit ist er ganz sicher ein Spiegel der gegenwärtigen Gesellschaft – mitnichten aber ein sinnierender Reflektor.
Was hat Captal Bra nicht?
Tiefgang. Capital Bra hat definitiv nicht den Anspruch, Songs für die Ewigkeit zu schreiben. Er ist Dealer und Junkie zugleich. Als Dealer vertickt er Musik, Posts und Instagram-Stories. Zum Junkie wird er durch die totale Abhängigkeit des Echos seiner Schnellschüsse.
Ausserdem hat Capital Bra keine Zeit. Seine Musik ist kein Wein, der reifen kann. Er produziert Energy-Drinks. Öffnen. Rein damit. Zuckerschub. Next! Er weiss, dass er nachliefern muss – bevor seine Fans im Zuckerloch landen.
Gummibärchen sind nur lecker, solange man sich ständig neue in den Mund steckt. So funktioniert das auch mit Capital Bras Musik. Wobei ich anmerken muss, dass ich definitiv mehr Gummibärchen essen kann, als ich Capital Bra-Songs ertrage.
Wieso funktioniert das?
Capital Bra packt keine komplexen Themen an. Er vermittelt Stimmungen und setzt textlich, musikalisch und visuell auf erbarmungslose Redundanz. An Trivialität sind Capital Bras Ansätze kaum zu überbieten. Würde er einen Imbiss eröffnen – gäbe es Burger und Bier oder eben Energy-Drinks und Donuts.
Aber Achtung. Was er dabei nicht vergessen würde, wäre jedem Produkt noch eine identitätsstiftende Zutat zu verpassen. In Capital Bras Fall ist das sicher seine vor Authentizität strotzende Spitzbübigkeit. Diese, gepaart mit einem eher hilflosen Wortschatz und Satzbau, verzeiht ihm offensichtlich auch textliche Glatteis-Ausflüge.
Wohin führt das?
Zur Zeit an die Spitze der Hitparaden. Über längere Zeit natürlich auch in die Geschichtsbücher. Als Zahlen. Als Hitparaden-Rekorde. Als Phänomen einer Zeit, in welcher der künstlerische Ansatz vom Produktionstempo überrollt wird.
Ganz sicher nicht zu Pop-Klassikern. Trotz der teils ziemlich beeindruckenden Hooks, fehlt Capital Bra ein Song mit dem Potenzial zum Evergreen. Andererseits: Wie soll einer, der das Wort «Evergreen» in einen Blog über Capital Bra einbaut, eine Ahnung davon haben, was Capital Bra bei einem heute 20-Jährigen in 30 Jahren auslöst?
Was ich hingegen weiss, ist: Meine Eltern hätten sich in den 90ern nie im Leben ein Album der Fantastischen Vier angehört.