Stephan Eicher ist sauer. Auf die Art und Weise, wie die Musikindustrie funktioniert. Auf seine französische Plattenfirma, die mit ihm und mit seiner Kunst anders umgeht, als er sich das vorstellt. Während andere in dieser Lage rumschreien würden, führt der D’Artagnan der Pop-Szene eine feine Klinge und veröffentlicht mit «Homeless Songs» ein Wölfchen im Schafspelz.
«Ich habe diesen Song-Zyklus 'Heimatlose Songs' genannt … Heimatlos, da mir scheint, dass diese Lieder keinen Platz haben im heutigen Musikbetrieb. Sie sind woanders zuhause», schreibt Eicher zu den 14 Liedern, die zu einem Teil unüberhörbar in dieselbe Schaffensphase wie das Eicher-Suter-Album «Song Book» gehören.
Er hätte auch schreiben können: «Ich habe hier noch ein paar Songs, die auf 'Song Book' keinen Platz fanden und ein paar mehr, die dieses Album vervollständigen. Ihr dürft sie euch anhören, wenn ihr Lust habt». Das wäre für mich die stringentere Umschreibung dieser Song-Sammlung gewesen, denn Mitleid empfinde ich für Eichers neue Lieder keinen Moment.
«Homeless Songs» ist wohlig und warm aber nicht bequem
Ein rundes Album ist «Homeless Songs» ganz sicher nicht. Das will es aber auch nicht sein – mit Songlängen, die zwischen 43 Sekunden und mehr als sechs Minuten pendeln. Es ist warm, herzenswarm und bewusst etwas störrisch und unbequem. Stacheliger Plüsch? Vielleicht. Auf alle Fälle nicht gemein. Eher wie ein warmer Waldboden, bedeckt mit Tannennadeln, der zur Rast einlädt. Auch wenn man weiss, dass da ein paar Nadeln quer liegen und kurz piksen könnten.
Eichers Streichereinheiten
Um seinen Songs, die sich eigentlich jeglichem Format verweigern wollen, doch ein Quäntchen Zugänglichkeit zu verschaffen, zuckerte Stephan Eicher «Homeless Songs» partiell mit der Orchesterkelle. Ob man darin den Schafspelz sieht, der den kleinen Wolf streichelbar macht, oder den einzig richtigen Weg diesen Songs den roten Teppich auszurollen, bleibt eine sehr individuelle Empfindungssache. Klar ist: Eicher weiss, wie sowas geht. Er weiss, was seine Songs brauchen. Wo ein bisschen zu viel genau richtig ist, und wo die Kargheit einer Komposition unbedingt unberührt bleiben muss.
Die Heimat von «Niene dehei»
Auch wenn Stephan Eicher seit Jahren in Frankreich wohnt und längst in der französischen Sprache angekommen ist, seine sprachliche Heimat bleibt sein konserviertes Berndeutsch. Und so ist es ein Mundart-Song, eine Zusammenarbeit von Martin Suter und Stephan Eicher, der mir auf diesem Album besonders ans Herz geht.
Das ausufernde «Niene dehei» klingt als würde Neil Youngs Farm im Emmental stehen und Eicher und Suter sich da eingemietet hätten, um sich Geschichten zu erzählen und Songs zu schreiben. Musikalisch schielt Youngs «Harvest Moon» verhalten um die Ecke, und die Nebelschwaden tragen Suters Geschichte und Eichers Stimme über den nächsten Hügel hinweg.
Soviel melancholische Schönheit lädt ein, einen kleinen Tod zu sterben. Dazu müsste der Song allerdings am Schluss des Albums sein. Ist er aber nicht. Wie so vieles auf diesem Album nicht immer genau da ist, wo es vielleicht hingehört. Und so macht Stephan Eichers neustes Werk mit jedem Mal hören stetig ein bisschen mehr Sinn.