Stellt euch vor ihr kommt zur Arbeit und auf eurem Schreibtisch steht anstelle eines Computers eine alte Schreibmaschine. So fühlen sich zurzeit tausende, die ihr Geld in der Musikbranche verdienen. Niemand verbietet ihnen zu arbeiten. Mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln haben sie jedoch keine Chance, einen guten Job zu machen.
Das ist schlimm. Aber: Was hat das mir zu tun?
Eine ganze Menge. Wenn wir es nicht auf die Reihe kriegen den Musikschaffenden, den Clubs und Veranstaltern finanziell über diese schwierige Zeit zu helfen, zerstören wir die Lebensgrundlage unserer eigenen Seele. Menschen brauchen mehr als Luft zum Atmen, Brot und Wasser. Gesunde Menschenseelen sind auf die viel beschworene Seelennahrung angewiesen.
Wir brauchen Inspiration. Wir brauchen Inseln, die es uns erlauben, den Alltag zu vergessen. Wir brauchen Inputs. Wir brauchen Leute, die uns den Spiegel vorhalten. Wir brauchen Orte und Momente, welche uns mit anderen Menschen zusammenbringen. Wir brauchen unglaublich viel von alldem, was uns Musikschaffende und Clubs über Jahrzehnte mit viel Leidenschaft geboten haben. Im Moment können sie das nicht. Wenn wir aber wollen, dass diese Zeit zurückkommt, müssen wir JETZT zu all den Menschen schauen, die uns das nach der Krise wieder ermöglichen.
«Auf der einen Seite wurde von der lahmgelegten Kulturszene verlangt 'jetzt mal kreativ zu sein' und auf der anderen Seite fängt die Regierung jetzt erst an, Pläne für die zweite Welle zu schmieden. Seid mal bisschen administrativ!», schrieb Comedian Renato Kaiser kürzlich auf seinen Social-Media-Kanälen.
In diesem Zitat steckt nicht nur gute Satire, verknüpft mit einer Prise der allgegenwärtigen Vorwurfskultur. Der Ausruf illustriert eindrücklich, wie sehr wir alle mit der aktuellen Lage, dem Verlauf und den Auswirkungen der Corona-Krise überfordert sind.
Und ja. Natürlich hat Kaiser recht, wenn er sich nervt, dass der Kulturszene zu wenig Kreativität attestiert wird. Man kann weder den KünstlerInnen noch den Clubs oder Veranstaltern vorwerfen, sie hätten nicht alles probiert, um unter den schwierigen Umständen neue Wege zu gehen. Viel wurde ausprobiert. Viel wurde investiert. Viel musste wieder verworfen werden.
Fakt ist – ganz speziell, was den Konzertbetrieb angeht: Es gibt keine adäquate Alternative zum herkömmlichen Live-Konzert.
Too important to fail
«Ein Land ohne Live-Kultur ist wie ein Gehirn ohne geistige Nahrung, ohne Euphorie, Aufbruch, Lust, Diskurs, Lachen und Tanz. Es verdorrt, gibt Raum für Verblödung, für krude und verrohende Theorien, verhärtet und fällt seelenlos auseinander», warnte der deutsche Popstar Herbert Grönemeyer kürzlich in einer flammenden Rede in Berlin.
Wir müssen handeln. Und zwar schnell. Wir brauchen die Heldinnen und Helden unserer Live-Kultur. Und wir brauchen sie gesund. Was in diesem Jahr passiert, soll im Nachhinein als eine Art Winterschlaf der Bühnen-Kultur wahrgenommen werden. Es darf nicht derer Grabstein sein.
Die Musikszene braucht Geld und zwar schnell
Von verschiedenen Seiten werden zur Zeit Forderungen laut, welche vom Bund verlangen, die Kulturszene zu retten. Das ist richtig und wichtig.
Würde man unseren Obstbäumen verbieten zu blühen, liessen wir sie schliesslich auch nicht einfach austrocknen. Schon gar nicht verbunden mit der Erwartung, dass sie uns bei der Aufhebung des Verbots mit prallen Früchten beglückten.