Ich war nie ein Fan von Tokio Hotel. Trotzdem konnte ich nachvollziehen, wieso dieses Quartett vor bald zehn Jahren durchstartete. Frontfigur Bill Kaulitz hatte von Anfang an das gewisse Etwas, das einen Popstar vom Musiker unterscheidet. Dazu kamen ein paar durchaus brauchbare Pop-Songs und der Mut zur glaubwürdigen Attitüde, anders sein zu wollen und zu dürfen.
Der Jö-Effekt hat ausgedient
Natürlich sind sich Tokio Hotel bewusst, wie schwierig der Übergang vom Kinderstar und Teenie-Idol zum erwachsenen Künstler ist. Kaum jemand schafft, diese Hürde ohne schwerwiegende Rückschläge zu kassieren. Die Art und Weise, wie Tokio Hotel diese Metamorphose meistern wollen, ist jedoch mehr als fragwürdig. Anstatt einen Schritt nach vorne zu wagen, verschaffen sich die Mittzwanziger mit hochpubertären und überaus peinlichen Effekthaschereien Aufmerksamkeit. Der übersexualisierte Videoclip zur Single «Girl Got a Gun» löst bei mir allerhöchstens Mitleid aus. Mitleid für eine Band, die in die tragischen Fussstapfen von Miley Cyrus tritt und sich damit einen wichtigen Weg verbaut.
Klar, mit solchen Aktionen kommt man in die Presse und füttert Blogs (und schafft wohl auch den Sprung in die Hitparade). Inhaltlich wird sich jedoch das meiste um das grenzdebile, masturbierende Plüschtier drehen, da Tokio Hotel offenbar nicht mehr zu bieten haben.
Wie gerne hätte ich hier über Tokio Hotel und ihre Musik geschrieben. Ich mag Überraschungen und hätte mit Freude vom Reifeprozess einer Band berichtet, der man genau diesen Wandel nicht zugetraut hat. Nun bleiben zwei musikalisch lauwarme Singles und ein Album, das mich nicht im Geringsten interessiert, weil es gar nicht richtig gut sein kann. Schliesslich setzt die Band alles daran, dass man sich nicht mit ihrer Musik beschäftigt.
Schade. Erwachsen werden geht anders.