«Mir gsehnd üs scho gli, im Sommer. Und denn küsset mir üs vo Chopf bis Fuess», singen Hecht in ihrem Corona-Song, den sie Ende März veröffentlichten. Ein schöner und hoffnungsvoller Song. Ein Märchen, das so nicht eintreffen wird. Covid-19 wird uns länger beschäftigen, als uns lieb ist. Auch der Konzertbetrieb kann nicht von null auf hundert wieder hochgefahren werden – sondern wird irgendwann, wie alle anderen Bereiche und Branchen, erst wieder langsam Fahrt aufnehmen.
Wir können mehr als hoffen und abwarten
Auch während der Corona-Zeit gibt es nur das hier und jetzt. Was zählt, ist der Moment. Natürlich sieht dieser für den uns vertrauten Festival-Betrieb sehr düster aus. Aber wer sagt denn, dass wir zum uns bekannten Status Quo zurückkehren wollen/müssen/sollen? Jetzt ist die Zeit da, die Schweizer Konzert- und Festival-Landschaft neu anzudenken und zu gestalten. Im Fokus dabei stehen bei ersten Lockerungen unweigerlich die Bands, kleine Klubs und evtl. Festivals, die bereit sind, sich den Umständen anzupassen.
Die grosse Zeit der kleinen Events
Gehen wir einmal davon aus, dass in ein paar Monaten Konzerte mit 500 oder gar 1'000 Personen wieder erlaubt sind. Dann können diverse Klubs ihren Betrieb schrittweise wieder aufnehmen. Denkbar wären ungewöhnliche Transformationen von klassischen Grossanlässen in unkonventionelle Marathon-Festivals. 30 Tage Gurtenfestival. 100 Tage Openair Frauenfeld. 365 Tage EVERYDAYCONCERTS oder so.
Neue Formen, neue Normen
Wenn wir neue Ideen entwickeln, tun wir gut daran, diese nicht mit der Wirtschaftlichkeit von Vorgänger-Modellen abzugleichen. Ein dreissigtägiges Gurtenfestival z.B. wäre wirtschaftlich gesehen eine andere Geschichte als die uns bekannte Traditionsveranstaltung. Wie wäre es mit 60 Bands an 30 Tagen mit je 1'000 Besuchern? 30'000 Tickets. Kein Campingplatz. Einen Monat Konzertbetrieb. Zusätzlich könnte man Gurten-Gönner werden und sich alle Konzerte im Stream zuhause ansehen und … - Bei diesem Gedankenspiel gehen Welten auf, oder?
Ein Hoch auf die ursprünglichen Stars des Festivalbetriebs
Natürlich wären solche Festival-Versionen der Todesstoss für die, in den letzten Jahren immer mehr ausufernde, Halligalli-Kultur: Festivalbesucher, die sich komplett desinteressiert und abseits des Geschehens auf den Musikbühnen bloss die Kante geben, blieben bei diesem Modell klar auf der Strecke.
Was bei vielen, kleinen und exklusiven Konzerten dafür ganz sicher gewährleistet wäre: Ein Publikum, das sich tatsächlich für Musik interessiert. Dass man sich dabei natürlich trotzdem mit bestem Gewissen leidenschaftlich betrinken darf, muss an dieser Stelle nicht erwähnt werden.
Ich kriege gerade ziemlich Lust auf diese Konzertlandschaft. Einen stolzen Betrag zu bezahlen, um zwei oder vier Bands zu sehen fühlt sich so viel besser an, als denselben Betrag zu bezahlen, um 50 Acts zu verpassen.
Ich glaube, wir würden Musik wieder ganz anders konsumieren und wertschätzen.
Oder was denkt ihr, liebe Festival-Fans? Und ihr, liebe Bands? Und ihr, liebe Festivals?