1. The Moonlandingz (UK)
Wow! Was für eine Wucht, wie wüst, wie grauenhaft, wie genial. Der letzte anarchistische Gegenentwurf einer allzu geschliffenen und humorfreien Popwelt. Der innovativste Post-Industrial-Garage-Sound der Dekade. Wenn der Teufel Popmusik hört, dann vermutlich diese. Sowas kriegen nur Engländer hin. The Moonlandingz sind eine Kollaboration von Mitgliedern der Fat White Family und des Eccentronic Research Council. Produziert von keinem Geringeren als John Lennons Sohn: Sean Lennon. Ihr erstes Album «Interplanetary Class Classics» erscheint im März 2017.
2. Let's Eat Grandma (UK)
Hypnotisierend, unheimlich, faszinierend: Was die zwei 17-jährigen Damen aus Norwich, England mit ihrem reduzierten Experimental-Pop erschaffen, hat Tiefgang und schreit nach einer kleinen Pop-Revolution. Let's Eat Grandma wissen ganz genau, wie wenig es braucht um gute Songs zu bauen. Musikalische Markenzeichen: konkurrierende Gesangslinien, als würden sie unterschiedliche Songs singen, spindeldürre Arrangements und ungewöhnliche Instrumentierung. Die zwei blassen Mädchen könnten auch gut bei einem Horrorstreifen wie «The Ring» die Hauptrollen spielen. Stattdessen setzen sie auf eine Art experimentellen Doom-Pop. Und das ist gut so.
3. Her (FR)
Nein, das sind nicht die Stiefschwestern der finnischen Dark-Rocker HIM . Hinter Her stecken zwei junge Franzosen, die mit ihrem souligen Pop gerade unterwegs sind, die Welt zu erobern. Und dies, obwohl ihr Debüt Album noch nicht mal physisch erhältlich ist. Die zwei charmanten Garçons überzeugen mit leichtfüssigem Pop à la Jungle und spielten sich mit ihren süffigen Liebesliedern in die Herzen der Groninger Zuschauer. Ihren Song «Five Minutes» kennt man bereits aus der iP***e-Werbung (Marke der Redaktion bekannt). Dieser Fakt sagt zwar nicht viel über ihre Street-Credibility oder ihre Bühnenpräsenz aus, aber er zeigt, dass es mit Her kommerziell definitiv aufwärts geht. Die Frauen kreischten sich die Augen wässrig, als Her als letzten Song ein Cover von Sam Cookes A Change Is Gonna Come zum Besten gaben.
4. White Wine (DE/USA)
Eigentlich sah ich nichts von der Band. Der alte, hölzerne Club «De Spieghel» war zu voll, um hinter dicht gedrängtem bierseeligem Publikum auch nur einen Blick von dem Auftritt zu erhaschen. Nach einer Zeit schloss ich die Augen und lauschte einfach diesem verrückten Art-Rock-Dings-Bums, das sich den schönen Namen White Wine zugelegt hat. Und ich merkte, auch ohne Bühnensicht, dass da gerade etwas einzigartig Verschrobenes passiert. Ich dachte kurz an Primus , dann an Sparks und etwas später auch noch an Southpark . «I try to make it as complicated as life», sagte mir der Frontmann Joe Haege nach dem Konzert auf die Frage, was sie denn mit ihrer Musik so aussagen wollten.
5. Jacques (FR)
Wenn einer mit allerlei Arbeitsutenisilien und Küchengerätschaften (Schaufeln, Mixer, Besteck usw.) in die Untiefen moderner Elektro-Akkustik vordringt und dabei eine Art Techno auf die Bühne klatscht, dass dir die Nackenhaare aufstehen: Bienvenu im wunderbaren Klanguniversum von Jacques . Ein Franzose, der sich freiwillig (vielleicht aus provokativen Showbiz-Gründen oder sonst einem verrückten Mode-Fetisch) eine Milimeter-Glatze rasiert - den dichten Seiten-Haar-Kranz aber dran lässt, dass auch jeder sieht, dass er sich absichtlich fast kahl rasiert hat. Mann, das ist mal ein Statement. Und seine Musik eine Offenbarung.
6. L.A. Salami (UK)
Lookman Adekunle Salami, besser bekannt als L.A. Salami , also known as: der neue Dylan (wobei er diesen Vergleich im Gespräch nach dem Konzert mit der eleganten Bescheidenheit eines Südlondoners weder abstreitet noch annimmt). Nebst einem Konzert mit der ganzen Band spielte er am Eurosonic in einer Luther Kirche eine Solo-Show: Ein Mann, eine Gitarre, eine Blues-Harp und jede Menge Poesie. Der vermutlich leiseste Auftritt am Eurosonic 2017, mit Sicherheit aber auch einer der ergreifendsten. Die Dylan-Vergleiche werden schon bald verstummen, Salami gibt selbst nämlich mehr als genug her, um mit seiner Musik global durchzustarten.
7. TAU (DE)
Eigentlich eher eine rituelle Schamanen-Messe als ein Konzert. TAU sind ein bunter Haufen Barfuss-Hippies (aus Irland, Mexiko, Venezuela, et al.), die sich alle in Berlin getroffen haben. Ihr Sound soll angeblich heilend wirken. Ob ihre Weltmusik-Laden-Drones das Publikum vor Ort heilten, ist schwer abzuschätzen, aber während diesem 45-Minuten-Showcase schwenkten wir alle im Raum zum selben transzendenten Rythmus, wurden eins und frönten dem wirklich gut gemachten Eso-Pop. TAU treffen damit irgendwie auch den Nerv der Zeit oder zumindest den Nerv des Zeitgeists: Entschleunigungs-Musik für postfaktische Urban-Individualisten.
Das gesamte Line-Up: Eurosonic/Noorderslag 2017 .