Äusserlich betrachtet, könnte das neue Lady-Gaga-Gesamtpaket von einer nordischen Death-Metal-Band stammen. Von den düsteren Musikvideos über ihr historisches Ballkleid an den Grammys bis zum neuen Plattentitel «Mayhem» – für ihr siebtes Studioalbum spielt sie wieder mal gekonnt mit dem Horrorgenre. Gagas Songs und Texte hingegen klingen eher nach Kindergeburtstagsparty in Stadiongrösse. Sie weiss längst, wie man Fantasiesprache in Pophits verwandelt.
«Mum-mum-mum-mah»
Ihr jüngster Song «Abracadabra» knüpft mit Textzeilen wie «Amor oo-na-na!» unüberhörbar an alte Gaga-Hits an: Mit dem Refrain zum Song «Bad Romance» wird Lady Gaga 2009 zum globalen «Fame Monster». Die textlichen Kauderwelsch-Einschübe brennen sich damit als ihr Markenzeichen ins Kollektivbewusstsein ein. Die ganze Welt singt «Rah, rah-ah-ah-ah / Roma, roma-ma / Gaga, ooh-la-la».
Spätestens, als Schauspieler Christopher Walken ihren Nonsense-Text zum Überhit «Pokerface» vorliest, wird klar: Gaga mag Dada.
Auf die Spitze treibt sie ihre Nonsense-Lyrics im Song «Scheisse». Ein Dance-Pop-Banger mit sinnfreiem Fantasiedeutsch: «Ich schleiban austa be clair, es kumpent üske monstere». Sollten wir diesen Text als Deutschsprachige entziffern können? Nein. Nur ein Gefühl einfangen soll der Track, den sie laut Gagapedia nach einem Clubbesuch in Berlin geschrieben hat.
«Ja-da, ja-da, jing, jing, jing»
Gaga hat den Nonsense-Song bei Weitem nicht erfunden. Mozart schrieb im 18. Jahrhundert schon im Kindesalter Lieder in Fantasiesprache. Etwas später taucht «Shoo Fly, Don't Bother Me» auf – ein Folksong von 1869, mit dem Soldaten sich über die Moskitoplage im Krieg hinweg singen und der dann zum Kinderreim wurde. Auch im Jazz floriert der lautmalerische Nonsense.
Die Beatles bringen die Lautmalerei 1968 an die Spitze der Charts. Jedes Kind singt «Ob-La-Di, Ob-La-Da». Etwas später präsentiert Adriano Celentano mit «Prisencolinensinainciusol» einen ganzen Song in Pseudo-Englisch – und die Welt versucht vergebens, zu verstehen, was ihr der italienische Musiker damit sagen will. Nichts. Alright, ausser vielleicht, dass Kommunikationsgrenzen da sind, um gesprengt zu werden.
«Asereje, ja, de je!»
Am anderen Ende des Popspektrums erfindet die schottische Alternative-Band Cocteau Twins in den 1980ern eine komplett eigene Singsprache. Ähnlich wie Damo Suzuki mit den deutschen Krautrock-Pionieren Can.
Und kurz bevor der «Crazy Frog» durch die Hitparaden «ringedingdingdingt», tischen Las Ketchup einen vermeintlichen Nonsense auf, der in Wirklichkeit einen anderen Song nachahmt. Im «Ketchup Song» steckt «Rapper's Delight» der Sugarhill Gang:
Wir sind alle Gaga
Weshalb das breite Publikum textlichen Unsinn feiert, scheint auch bei Lady-Gaga-Lyrics auf der Hand zu liegen: Musik wird damit zum kindlichen Spiel. Sinnfreiheit befreit. Überdies befeuert der Nonsense die Diskussionen und Interpretationsversuche auf Fanforen im weltweiten Gagaweb.
Und während Millionen von Pop-Songtexten eine tieferen Sinn zu vermitteln suchen, setzt Gaga mit gekonnt gesetzten Nonsense-Parts auf Einzigartigkeit und Einprägsamkeit. Einmal gehört, wird aus einem Song wie von Zauberhand ein Ohrwurm geschaffen – Abrakadabra!