Paul McCartney sagte einst: «Wenn dein Refrain grösser als die Welt ist, ist es egal, was im Verse passiert.»
Und damit hatte er Recht. Seit den 60er Jahren wurde der klassische Popsong durch einen Faktor definiert: Der Mitsing-Refrain. Es ist jener Teil eines Popsongs, welcher sich am schnellsten und nachhaltigsten ins Gedächntis frisst und hängen bleibt.
Die Popsong-Strukturen auf den Kopf gestellt
Zugegeben, auf den Kopf gestellt mag etwas reisserisch klingen. Aber, wenn man in zwanzig Jahren auf die 2010er-Jahre zurück blickt, dann wird es genau jenes Stilmittel sein, welches die Popmusik dieses Jahrzents geprägt hat. Fragt sich nur: Was ist der Pop-Drop genau? Werfen wir zuerst einen Blick auf diese Grafik:
Die klassische Popsong-Struktur beginnt mit Intro, geht von Verse über zur Bridge und gipfelt im Refrain. Der Refrain ist der Höhepunkt eines richtigen Popsongs, die Klimax, der mitsingbarste Teil eines Songs. Neu wird die Bridge (der Aufgang hin zum Refrain) aber durch den Refrain ersetzt. Folglich ist der Song bereits hier mitsingbar - und steigert sich dann in den neuen Höhepunkt, einen Pseudo-Refrain - den Pop-Drop. Aber wer ist denn eigentlich Verantwortlich für diese neue Struktur?
Streaming-Welt als Grundstein für neue Songstrukturen
Gemäss Billboard wurde der Pop-Drop 2016 ungefähr in jedem fünften Song der amerikanischen Billboard-Hot-100-Charts verwendet. Dabei ist der Pop-Drop bereits seit mehreren Jahren omnipräsent und auch 2017 nicht totzukriegen. Mitschuldig sind Streaming-Dienste, denn diese sind an der Spitze der neuen Pop-Struktur-Weltordnung. Welcher sich auch gestandene Bands wie Coldplay oder kürzlich U2 (zusammen mit Kygo) unterordnen.
Diese These wurde kürzlich im Magazin Pitchfork veröffentlicht. Unter der Überschrift «Uncovering How Streaming Is Changing the Sound of Pop» erklärt der amerikanische Autor Marc Hogan, warum Popsongs im Zeitalter des digitalen Streamings anders klingen: Sie kommen schneller auf den Punkt, sind ungeduldiger, lauter und intensiver. Aber warum? Der Grund ist einfach: Streaming-Marktführer wie Spotify und Apple Music zählen Songs erst ab 30 Sekunden Spieldauer.
Auch die Popmusik der 80er erkennt man sofort. Dafür gibt es zwei spezifische Gründe: Yamaha DX7 und Gated Reverb:
Der Pop-Drop als «Füller» wird zum neuen Songhöhepunkt
Aktuelle Popsongs müssen also schneller und komprimierter auf den Punkt kommen. Aber genau weil Refrains und andere Elemente immer weiter nach vorne gerückt werden, muss ja danach noch was kommen. Und da bedient sich die Popmusik an einem Element aus der elektronischen Musik: dem «Drop». Jener Augenblick, vor dem noch kurz eine Pause folgt, um dann mit einer ekstatischen Elektro-Highlight-Melodie und zerstückelten Wortphrasen aus dem Refrain ein «Arme in die Luft»-Gefühl auszulösen. Es ist nebenbei auch der tanzbarste Teil des Songs mit dem treibendsten Beat. Genau das, was die Millenials wollen. Denn Popmusik im hier und jetzt geht nicht mehr um Inhalt - es geht um ein Lebensgefühl von Freiheit und endloser Party.
Künstler wie Kygo, Major Lazer, Avicii, Justin Bieber oder Pink arbeiten alle nach dem Prinzip des «komprimierten modernen Popsongs». Und es scheint nicht so, dass die Electronic Dance Music (EDM) demnächst aus dem Pop verschwindet - und genau so wenig wird es der Pop-Drop. Und genau darum ist dieses kleine musikalische Detail das wohl signifikanteste Merkmal der Popmusik der 2010er Jahre - ob man das jetzt gut findet, oder nicht.